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haben, reagierte Schaukal in kulturkritischen AufsÀtzen sowie in literarischen
undbiographischenWerken.
Wie Treitschke schÀtzte auch der österreichische Ministerialbeamte den
bĂŒrgerlichenStandnicht sonderlichund inseinemEssayĂŒberKarlKrausheiĂt
es 1933: â[D]aĂ es nochniemals einen âdemokratischenâKĂŒnstler gegebenhat,
leuchtetein.â63DieseSkepsis stehtmiteinerantisemitischenGesinnung inVer-
bindung, die beide Akteure â Schaukal und Treitschke â an den Tag legten.
Schaukals frĂŒher Antisemitismuswar antijudaistisch, andererseits begrĂŒndete
er seine Judenfeindlichkeit auch mit einer fadenscheinigen Kulturkritik. Am
20. Oktober 1921 schreibt Alois Essigmann (1878â1937) Schaukal: âIch bin der
Ăberzeugung, dass dieses Problem [die âJudenfrageâ] âIhrâureigentliches sozia-
lesProblemist.Nur inder JudenfragekommenSiemiralsobjektivgroĂer âPoli-
tikerâ inBetracht, alle anderen âaktuellenâAufsĂ€tzekann ich immerund immer
wiedernurals âSchaukalsâschĂ€tzenundwerten.â64
Gewiss spielte auch Sozialneid gegenĂŒber den jĂŒdischenMitbĂŒrgern eine
entscheidende Rolle, ein PhÀnomen, das der Historiker Götz Alymit Blick auf
die deutschen Staaten beschreibt.65 Alys Antisemitismusthese lÀsst sich zum
Teil auf Ăsterreich-Ungarn ĂŒbertragen, sie ist aber in einen komplexeren Zu-
sammenhangzustellenund liefert beiweitemnichtdaseinzigeErklÀrungsmo-
dell fĂŒr einen im ausgehenden 19. Jahrhundert europaweit herrschenden
Konflikt. Im Zuge der âjĂŒdischen Emanzipationâ setzte sich die bĂŒrgerliche
Schicht nichtmehr allein aus einer christlich geprÀgtenMehrheit zusammen,
diedarĂŒberhinaus zwarnochĂŒberdenalleinigenZugangzuhöherenChargen
imMilitĂ€r, zu politischenĂmtern und zu Positionen im Staatsdienst verfĂŒgte,
imkulturellenFeldund imBildungsbereichhingegenanEinflussverlor.66 1885
waren 60%derĂrzte unddieHĂ€lfte aller inWien registrierten RechtsanwĂ€lte
Juden. Die meisten einflussreichen Zeitungen und Zeitschriften wurden von
Publizisten jĂŒdischerAbstammungherausgegeben, etwadieNeueFreiePresse,
deren Leiter von 1908 bis zu seinemTod im Jahr 1920 der ĂŒberaus einflussrei-
cheMorizBenedikt (1849â1920)war.67
63 Schaukal:KarlKraus,S. 29.
64 Brief Essigmanns an Schaukals, 20. Oktober 1921, S-NL,WB;Hervorh. imOrig. als Unter-
streichungen.
65 Vgl.GötzAly:Warumdie Juden?WarumdieDeutschen?Gleichheit,NeidundRassenhass,
1800â1933.FrankfurtamMain2011,vorallemS.93â98.
66 Vgl.Osterhammel:DieVerwandlungderWelt,S. 1229â1238.
67 Vgl. [Anon.]: [Art.] Benedikt,Moritz. In:ĂsterreichischesBiographischesLexikon 1815â1950
(ĂBL). Bd. 1.Wien 1957, S. 69. http://www.biographien.ac.at/oebl_1/69.pdf (zuletzt aufgerufen
am31. Juli2019). 3 BiographiealsSelbstreflexion 69
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik