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Verfassersmit dem dargestellten Objekt treten in Schaukals biographischen
Schriftenklar zutage.77
Darüber hinaus ist auch eine Nähe zur rückwärtsgewandten Mythographie
bemerkbar, auf die besonders Biographen zurückgriffen, die sich Stefan George
(1868–1933) nahe fühlten. Schaukal hatte ebenfalls versucht, sich demGeorge-
Kreis anzuschließen, doch seine Kontaktaufnahme blieb erfolglos. NebenGeist,
AuraundPersonenkult sind auchvoraufklärerischeundantidemokratischeTen-
denzen,dievoneinemgeistigenSuperioritätsgedankendurchdrungensind,Über-
schneidungspunkte in der biographischen Perspektive der George-Schule und
Richard Schaukals. Die Autoren rund um Stefan George setzten einer in ihren
Augenzunehmendtechnisierten,entmenschlichtenundversachlichtenWelt eine
neue Formdes „Heldenglaubens“ entgegen. Sie idealisierten die biographierten
Persönlichkeitenals TypenüberzeitlicherPrägung,umaufdieGemeinsamkeiten
„gleichhehrerGeister“aufmerksamzumachen.Auchpolitischundhistorischbe-
deutsame Personen wie Napoleon (1769–1821) wurden dem Wesen nach und
nicht imLichte ihresmilitärischenHandelns beschrieben. DieHeroen sollten so
ihrenGlanz auf denVerfasserkreis zurückwerfen, also eineResonanzbiographi-
scherBedeutsamkeiterzeugen.78
Schaukal verfährt in einem während des Ersten Weltkriegs publizierten,
kurzen biographischen Essay über Bismarck ganz ähnlich. Er schildert den
Staatsmannals„symbolischenHelden“, derdeutsches„Wesen“ in sichvereine
und Schöpfer eines Kunstwerks (die Nation) sei. Damit adaptiert Schaukal
HeinrichvonTreitschkesVorstellung,Kunst, Politik undMilitärwesenkönnten
in biographisch-historiographischen Werken miteinander verbunden werden,
umsieantidemokratischauszurichten.DieÖsterreicherhätteneinAnrechtdar-
auf, Bismarck für sich zu beanspruchen, so Schaukal, dermit einer Art kultu-
reller und emotionaler Gemeinschaft argumentiert, die über die Staatsgrenzen
des deutschsprachigen Territoriums hinausreiche. Der Staatsmann wird als
schöpferische Kraft erst mit Napoleon verglichen, dann mit Immanuel Kant
(1724–1804), den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm (1785–1893 bzw.
1786–1859), Johann Sebastian Bach (1685–1750), RichardWagner (1813–1883)
undE.T.A.Hoffmann,uminpathetischerSteigerung inBismarck„meinerSeele
77 Vgl.Bödeker:Biographie,S.32.SchaukalnenntWilhelmDiltheynebeneinerReiheanderer
PhilosophenundSchriftsteller alswichtigenEinfluss; vgl. Schaukal: Beiträge zu einer Selbst-
darstellung, S. 38; siehe auch Schaukals Einleitung zu E.T.A. Hoffmanns ausgewählteWerke
inachtBänden.Leipzig1908,S.XVIII.
78 Vgl.Scheuer:Biographie,S. 119–121.
72 I PoseundSubjektivierung imLebenRichardSchaukals
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik