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verflochten. Schaukal wählt für diesen unstrukturierten Gedankenstrom einen
Plauderton, denHermannBahrmit seinenLiteraturkritikenals ‚Causerie‘ einge-
führt hatte. Dabei überlagern die moralphilosophischen Sentenzen und ein
subjektiver Stil die biographischeAuseinandersetzungmit Kraus. Schaukal dis-
tanziert sich aber auchvonbiographischenStrukturierungsnormen, die vonder
GeburtüberdieEntwicklungzumbedeutendenProtagonistenbis zudessenTod
die konventionelle Biographie in drei Teile gliedert. Kenntnisse über Person,
LebenundWerkwerdenvorausgesetzt undKraus (der „einseitigeSatiriker“) für
dieSelbstpositionierung(Schaukalals„vielseitigerDichter“) instrumentalisiert.89
Schaukal macht keinen Hehl aus der eigennützigen Aneignung: „Wenn ich
heuteKarlKraus,wie er aufmichgewirkthat, darzustellenunternehme,hatdie
Darstellung mit mir zu rechnen: ich kann mich darin nicht unterschlagen.“
Denn, soSchaukal inAnlehnungandiehermeneutischeBiographik, „derwahr-
haftige Kritiker eines völligen Eindruckes vermittelt schaffend seinerseits den
EindruckdesGanzen.“90Hierbezieht sichSchaukal aufDilthey,derdas„Wieder-
findendes Ich imDu“alsepistemologischenKernderBiographiebezeichnete.Für
DiltheybestehtdieMöglichkeiteines intersubjektivengeistigenAustauschsvonIn-
dividuen, die sich in die Totalität einerUniversalgeschichte eingliedern; dieWelt
könne jedochnicht allein auf biographischeWeise erklärtwerden, dadas Indivi-
duumder „Kreuzungspunkt für Kultursysteme [und]Organisationen“ sei, „in die
seinDaseinverwobenist.“91
Schaukal bezeichnet seine essayistischenTexte über Personennie als Bio-
graphien, sondern als Portraits, Selbstdarstellungen oder Monologe. Die geis-
tig-künstlerischeMentalität der behandelten Protagonistenwird intersubjektiv
dargestellt. In diesem Zusammenhang ist ein Aspekt von Interesse, der von
SchaukalsüberbordendemSchreibflusskaschiert zuwerdendroht. SeineTexte
lassen einenHang zur „Subjektivität des Biographen“ erkennen,mit dem sich
zumBeispielWolfgang Hildesheimer in den 1970er Jahren auseinandersetzen
sollte. DerVerfasser der bereits erwähnten streitbarenMozart-Biographie (eine
Gattungsbezeichnung, gegen die Hildesheimer sich wehrte) meinte, er habe
beim Abtippen seines Vortragstitels „Der Biograph als Autobiograph“ statt
‚Auto‘ ‚Anti‘ geschrieben. An diese Freud’sche Fehlleistung knüpft Hildeshei-
mer seine Kritik am Biographiebegriff, die ihn zu der Überlegung führt, sein
Mozart-Buch sei eigentlich ein „Monolog“.92 Natürlich erreicht die Zentrierung
89 Schaukal:KarlKraus,S.41–43.
90 Schaukal:KarlKraus,S. 17.
91 Dilthey: DerAufbauder geschichtlichenWelt in denGeisteswissenschaften. Frankfurt am
Main1981,S. 235undS.310.
92WolfgangHildesheimer:DieSubjektivitätdesBiographen,S. 285–286.
3 BiographiealsSelbstreflexion 75
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik