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denn der Erbadel differenzierte sehr genau zwischen alter Aristokratie undden
Nobilitiertender ‚ZweitenGesellschaft‘.
Eine Sonderstellung nimmt Schaukals temporärer Adelstitel ein, der sym-
bolischesKapitaldarstellte.DieNobilitierungdurchKarl I. kurz vorKriegsende
blieb nur wenige Monate lang offiziell gültig und wurde im April 1919 durch
das Adelsaufhebungsgesetz formal wieder rückgängig gemacht. Daraus resul-
tierteeineArtgespaltenerHabitusSchaukals,der zueinernachaußengetrage-
nen Lebensführung im Schatten der letztlich unerfüllten Standeserhebung
führte. InFormvonmedialenoder fiktionalenDandy-Entwürfen lebteSchaukal
einen angeeigneten aristokratischenHabitus vor allem literarisch aus. Als ge-
spalten lässt sichderHabitus insofernbezeichnen, als Schaukal seinenAristo-
kratismus nicht einfach ausstrahlte, wie dies beim Geburtsadel der Fall ist.
Schaukal fasste seinen Habitus kontinuierlich inWorte, entwarf und erklärte
ihn,worin gerade derKern jenerAneignung liegt, diewiederumeine bürgerli-
cheHaltung impliziert.
Das (sichere) ökonomische Kapital basierte bis 1919 auf Schaukals Vergü-
tung alsMinisterialbeamter. Sein Einkommendürfte zudemdurch eineMitgift
nachder Ehemit der ausNeutitschein (Nový Jičin) stammenden Industriellen-
tochterFranziska (Fanny)Hückel (1877–1959)ergänztwordenseinundbiszum
KriegsausbrucheinenmondänenLebensstil, dieprivatenAuslandsreisensowie
den Erwerb einer Biedermeiervilla in Grinzing ermöglicht haben. Ein amSem-
mering gelegenes, als „Haus Immergrün“ bezeichnetes Anwesen erwarb der
Dichter 1916mitdemErlösausdemVerkaufeiner Immobilie inBrünn, inderen
BesitzernachdemTodderMuttergekommenwar.3
Aus seinerdichterischenTätigkeit konnteSchaukal jedenfalls nicht ausrei-
chend ökonomisches Kapital lukrieren; dennoch quittierte er nachKriegsende
denStaatsdienst,wasals symbolischerAkt auszulegen ist. Schaukalwar sicht-
lichnichtgewillt, einerRepublikzudienen,die inseinenAugenkeineLegitimi-
tät besaß. Anfang der 1930er Jahre hält Schaukal rückblickend fest, dass ihn
der „Zerfall derMonarchie“ausdemStaatsdienst getriebenhabe: „[I]chwollte
nicht teilhaben an einer Erneuerung, die mir die Zerstörung bedeutete. [. . .]
Schwere Jahre brachten uns an denRand der Not.“4 In Abwägung der beiden
KapitalsortensetzteerseinePrioritätbeimSymbolkapital.
DieWahrungundAkkumulierungvonkulturellemKapitalwarschließlichvon
entscheidenderBedeutung.VorallemnachdemEndederMonarchiesahSchaukal
sein Kulturkapital bedroht, und folglich auch seine dichterische Tätigkeit davon
3 Vgl.Schaukal:BeiträgezueinerSelbstdarstellung,S.9.
4 Schaukal:BeiträgezueinerSelbstdarstellung,S. 123.
82 II SchaukalsEinsatzmittel imSozialraum
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik