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UmwertungbĂŒrgerlicherKapitalvaliditĂ€tnachdemEndederMonarchie.DerPro-
tagonistHubert verliert seinBeinaufgrundeinesStraĂenbahnunglĂŒcks,nachdem
er âvier Feldzugsjahre ohne erhebliche Verwundungâ ĂŒberstanden hatte.17 Nicht
der Krieg, sondern Urbanisierung und gesellschaftspolitische UmwÀlzungen der
Modernebringen ihn âuntersRadâ. ZurĂŒckbleibt einvonPhantomschmerzbeglei-
tetesSchamgefĂŒhl.Hubert fĂŒhlt sichnichtnurseinesgesellschaftlichenRangsbe-
raubt, sondern auch in seinerMĂ€nnlichkeit herabgesetzt. Seine Familie âwar auf
dembestenWege gewesen vomWohlstand zur Ansehnlichkeit, man hÀttewohl
Reichtumsagenkönnen.DasalleshattenichtsosehrderKriegwiederderNieder-
lage folgende tĂ€glich sich verschlimmerndewirtschaftlicheMiĂstand zerstört.â18
Wie schwer dieseKombination aus physischerDysbalance und sozialemAbstieg
aufdenProtagonisten lastet,drĂŒcktSchaukal inderDiebstahlsszeneaus,eineNe-
gativklimaxderErzÀhlung.DieHausmeisterinFrauNovakentwendetausdeman-
gemieteten Garten Veilchen, weil Hubert mit seinem Bein auch die Aura der
RespektabilitĂ€teingebĂŒĂthat.
DieMotivederErzÀhlungsindeindeutigunduntermauernSchaukalsAbwehr-
haltung gegenĂŒber dem aufstrebenden Arbeitermilieu, das im âRoten Wienâ
(1918â1934)vondenReformenimWohnungsbau, inderSozial-,Gesundheits-und
inderBildungspolitikprofitierte.SchaukalsWelt lÀsst sichsowiedieseiner litera-
rischen Figuren nach 1918 als zunehmend konflikttrÀchtiger Raum konturieren.
Die âAufstrebendenâ und âAbweichlerâ, die zumBeispiel in das Feld der Bildung
vordringen,werden vonden âEtabliertenâunter Einsatz der ihnen zur VerfĂŒgung
stehendenMitteldavonabgehalten.
Mathias Siebenlist, ein anderer tragischer Protagonist aus der entgegenge-
setzten sozialenHemisphÀre, gelingt in der gleichnamigenErzÀhlung ausdem
Jahr 1907derVorstoĂ insuniversitĂ€reFeld.Dort kanner abernicht reĂŒssieren,
daMathias bei allemTalentweder sozioökonomisch noch physiognomisch zu
denKommilitonenpasstundvonihnenschlieĂlichgeschasstwird:
Gegen12Uhrmittagsversammeltesich imMittelstockdesder juridischenFakultÀtgewidme-
tenGebÀudetraktesderUniversitÀt einekleineGesellschaft jungerLeute,die sichersichtlich
bemĂŒhten, alsmit ausgesuchter Eleganz gekleidet zu gelten. Unter ihnennahmdenunbe-
strittenerstenPlatzHerrvonSonntagein,derSohneinesehemaligenMinisters.SeineGroĂ-
mutterwar eine GrÀfin von Traunberg gewesen, seine Schwester hatte denKÀmmerer und
MilitÀrattachéBaronFreinsteingeheiratet [...]. EbenalsdieGesellschaftwiegewöhnlicham
BĂŒfett sichmit demTrinken spanischerWeineunddemVerspeisen vonbelegtenBrötchen
auf ihredemonstrativeArt zerstreute [...], gingMathiasSiebenlist, einenRadmantelumdie
17 Schaukal: Die KrĂŒcke. In:WE. Bd. 4: ErzĂ€hlungen.MĂŒnchen/Wien 1966, S. 257â327, hier
S. 260.
18 Schaukal:DieKrĂŒcke,S. 274.
86 II SchaukalsEinsatzmittel imSozialraum
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik