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und konstituieren den „Raumder Lebensstile“25 oder, so Bourdieu deutlicher:
Die Lebensstile sind Produkte des Habitus.26 Diese setzen sich wiederum zu-
sammen aus Eigenschaften, objektivierten Gütern (Bücher, Möbel, Kleidung,
Häuser etc.) und den Praktiken, die als distinktiveMerkmale zur Abgrenzung
gegenüberdenanderenKlassensichtbarseinsollen(zumBeispielTheaterbesu-
cheodersportlicheAktivitäten).
WennSchaukal abwertendüber Fragender Inneneinrichtungoder desKlei-
dungsstils schwadroniert, dann bestätigt er die demHabitus inhärente Funkti-
onsweise: die Konstituierung und Konturierung der sozialen Identität in der
Differenz.DieGegenständeeinergeschmackvollenEinrichtungwerdenzuBedeu-
tungsträgern und Zeichen aufgeladen, die physische Ordnung der Dinge in eine
symbolischeOrdnungübertragenund ihreDistinktionsmerkmale ostentativnach
außengekehrt.27 SozialeGegensatzpaarebildendabeidieentscheidendenStruk-
turierungsformenderhervorgebrachtenPraxisundihrerWahrnehmung.28
SchaukalsGeschmacksurteile richtetensichabernicht alleinauf Innenräume
undGebrauchs- oder Sammelobjekte, sondernauchauf die Stadt und ihre archi-
tektonischeGestaltung,wie in seiner Kritik an denWiener Zinskasernen ersicht-
lichwird, die denUmstand städtischerWohnungsnot unterprivilegierter Klassen
gänzlich ignoriert.29
WieAdolf Loos undKarl Kraus sah auchSchaukal einen Zusammenhang
zwischen dem architektonischen Ornament im Historismus und Jugendstil,
dem sprachlichenOrnament der Phrase in den Zeitungsfeuilletons und einer
allgemeinenmoralischen Dekadenz. „Ethik und Ästhetik sind eins“, so eine
bekanntePassage inWittgensteins (1889–1951) 1918vollendetemTractatus lo-
gico-philosophicus.30 Loos vertritt in Ornament und Verbrechen (1908) den
Standpunkt, dass Körperschmuckwie etwa Tätowierungen indigeneAbstam-
mungoder kriminelle Gesinnung ausdrücke undVerzierungen somit Zeichen
der Vormoderne oder Stigmata eines Verbrechers darstellen. Daher sei „Evo-
lution der kultur [. . .] gleichbedeutendmit dem entfernen des ornamentes aus
dem gebrauchsgegenstande.“31 Ein ökonomischer Kritikpunkt am Ornament
25 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 277–278undS.282–283.
26 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 281.
27 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 282–284.
28 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 279.
29 Vgl. das Kapitel „Bemerkungen zur ästhetischenWohnungsnot“ in: Schaukal: Vom Ge-
schmack.ZeitgemäßeLaienpredigtenüberdasThemaKultur.München1910,S. 17–22.
30Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus. 1922. Online: http://www.gutenberg.
org/ebooks/5740§6.421,S.159. (Zuletzt: 11.9.2018).
31 AdolfLoos:OrnamentundVerbrechen. In:AdolfLoos:SämtlicheSchriften inzweiBänden.
Hg.vonFranzGlück.Wien/München1962,Bd. 1,S. 276–288,hierS. 277.
3 GeistesaristokratieundKulturkritik 89
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik