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IhrenBriefhabenmeinBruderundichneulich,nachdemwirdieDusegesehen, imRaths-
keller bei einemguten GlaseWeinmit einander gelesen und Ihrermit warmen Empfin-
dungen gedacht. Ihre Ehrlichkeit, Ihre Leidenschaft leuchtete zu klar aus diesem
Schreibenhervor,alsdaßEinervonunsIhnennochböseseinkönnte [. . .].44
ImGegensatz zumultiplexenVerbindungen, die einenhohenGrad anKonfor-
mität, sozialer Kontrolle und Konfliktlösungsbereitschaft bewirken, prallen in
uniplexenNetzwerken die Interessen von Streitparteien unmittelbar aufeinan-
der. In diesen dünn besaiteten Strukturen wird der sozialen Beziehung zum
WidersachereingeringererWertbeigemessenalsderErfüllungvonEigeninteres-
sen.45 Dies ist imVerhältnis zwischen ThomasMann und Schaukal ersichtlich.
Zu einem Zeitpunkt, als beide Akteure publizistischen Tätigkeiten nachgingen,
um die Etablierung im literarischen Feld voranzutreiben, profitierten sie vom
Informationsaustausch.DerKontakt zwischenSchaukal undThomasMann ist–
trotzallerpersönlichenFärbungunddemliteraturästhetischenAustausch–über
weiteStreckenalsGeschäftskorrespondenzzulesen.BeideDichtersahenum1900
im jeweils anderen einen potentiellen Garanten für die vorteilhafte Karriereent-
wicklung.AbererstBeziehungen,diezwischenmehrerenNetzwerkeneineBrücke
schlagenundsomit strukturelleLöcher (zumBeispiel Informationsdefizite) schlie-
ßen, tragenentscheidendzueinemInformationsvorsprungbei,ausdemdannalle
weiterenKapitalsorten akquiriertwerden.46 Schaukal konnte aus ThomasManns
Sicht eine solche Brückenfunktion nach Wien nicht erfüllen, da dieser ihm
anfangsungefähr ebenbürtig und später sogar unterlegenwar. In der Beziehung
zwischen Mann und Schaukal stellte sich spätestens 1904, als der deutsche
SchriftstellerzueinemdererfolgreichstenAutorendesdeutschsprachigenRaumes
aufgestiegenwar, einenetzwerkstrukturelle Schieflage ein.Verlief derAustausch
indenerstenJahrennochsymmetrisch,dabeidevondenInformationenundVer-
mittlungsanstrengungen des anderen profitierten, nahm der Austauschprozess
balddarauf eineasymmetrischeWendung.WährendSchaukal inknappzweiein-
halb Jahrzehnten13 (anfangspositive,abderZwischenkriegszeitnegative)Rezen-
sionen von ThomasMannsWerken verfasste,47 befasste sich jener nie öffentlich
mitSchaukalsWirken.Mit seinemErfolgwurdenManndieBittsuchendesWiener
Kollegensichtlichzuwider.48
44 Brief Th.MannsanSchaukal in:Girardi (Hg.): ThomasMann:Briefe anRichardSchaukal,
S. 78 (TMSch47).
45 Vgl.Schweizer:Muster sozialerOrdnung,S. 115–116.
46 Vgl.Schweizer:Muster sozialerOrdnung,S. 123.
47 Vgl.Girardi (Hg.):ThomasMann:BriefeanRichardSchaukal,S. 209–210.
48 Vgl. denBriefMannsvom14.Oktober 1905 anSchaukal, in:Girardi (Hg.): ThomasMann:
BriefeanRichardSchaukal,S. 107–109(TMSch75).
1 VerlagsstrukturenundVerlagsnetzwerke 105
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik