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Das Verhältnis des Nietzsche-Lesers Schaukal89 zur florierenden Zeitungs- und
Zeitschriftenkultur des beginnenden 20. Jahrhunderts gestaltete sich – obwohl
vongrößerenErfolgengeprägt–ambivalenter, als zudenBuchverlagen. Erwar
sichdessenbewusst,dassdieZeitungzumzentralenAustragungsort fĂĽrdiePosi-
tionenkämpfeder literarischenAkteureavanciertwar.Umdenkunst-undkultur-
kritischen, später auch politischen Diskurs mitzugestalten und um Teil dieses
Diskurses zu sein, war eine aktive Partizipation mit Kommentaren, Glossen,
RezensionenundliterarischenBeiträgenunabdingbar. Indembereitserwähnten
Artikel „Wien ohne Zeitung“ ironisierte Anton Kuh 1918 die unzertrennliche
Raumsyntax vonWien, Zeitung und Kaffeehaus: Wien ohne Zeitung, so Kuh,
„dasheißt:WienohneWien.Denndie Zeitung istWien,WieneineZeitung.Die
Stadt lebt erst dann,wennsie sichgedruckt liest.“Bemerkenswert ist KuhsVor-
wegnahmederpoststrukturalistischenPosition,dassDiskurse jeneSachverhalte
erzeugen, die sie zunächst abbilden. Streik, Krieg oder die „Klauenseuchen aus
dem Gmündner Bezirk“ sind in ihrer Dringlichkeit nicht auseinanderzuhalten
und sogar inexistent, sobald die Leserschaft auf Urlaubweilt, so die satirische
PointeKuhs.90
Dass sich die Konflikte allerdings nicht allein auf Auseinandersetzungen
im diskursiven Raum beschränkten, musste der Verleger des Neuen Wiener
TagblattsMoritz Szeps (1835–1902) ameigenenLeib erfahren. Szepswar inbe-
sonderem Maße antisemitischen Anfeindungen durch Georg von Schönerer
(1842–1921) ausgesetzt, die unter anderem zur Verwüstung seiner Redaktions-
räume führten.Politisch-ideologischeGrabenkämpfeunddienachwievorprä-
valenten Zensurmaßnahmen dämmten das sich ausbreitende Medium jedoch
nichtein,91undderAufstiegderPressebrachteeinstetigwachsendesHeervon
Journalisten hervor. Auch Schriftsteller, die sich selbst als Buchautoren ver-
standen,konntennicht längerandenVerlockungendervergleichsweisehohen
Honorarevorbeisehen.92AutorenundAutorinnenwieAdaChristen (1839–1901)
fanden inderUnterhaltungsliteratur zwar ihrAuskommen, dochdieAkzelera-
tion der Produktionsprozesse und die demQuantitätsprinzip folgende Entloh-
nung per geschriebener Zeile begünstigten das „literarische Manchestertum“
des Pressebetriebs, in dem sich die „Phrase“ ausbreiten konnte, so die kultur-
kritischePolemikvonKarlKraus.93Die Industrialisierung stellte alsonicht nur
89 Vgl.Pietzcker:RichardvonSchaukal,S. 76–77.
90 Kuh:Zeitgeist imLiteratur-Café,S. 26–29.
91 Vgl.Lorenz:WienerModerne,S.34–35.
92 Vgl.Bachleitner/Eybl/Fischer:GeschichtedesBuchhandels inĂ–sterreich,S. 235.
93 KarlKraus:DieVertreibungausdemParadiese. In:DieFackel,Nr. 1 (April 1899), S. 12–23,
hierS. 15. 2 PublizistischeNetzwerke 115
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik