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Einleitende Überlegungen
Dass die Oktoberrevolution von 1917 mit ihren gesellschaftlich-ideologischen
Projekten, ihren sozialrevolutionären Utopien, ihrer kulturell-künstlerischen
Ausstrahlung, aber auch mit ihren politischen Gefährdungspotentialen in der
1918–19 ebenfalls von revolutionärer Umgestaltung geprägten (deutsch-)öster-
reichischen Republik mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wurde, liegt auf der
Hand. Seit den auch an der bolschewistischen Bewegung inspirierten Streik-
wellen in den Industrieregionen rund um Wien, Wiener Neustadt und Mäh-
risch-Ostrau im Jänner 1918, dem sich Teile der Armee und der Marine (in Pola
und Cattaro) anschlossen, waren die politischen Eliten herausgefordert, sich mit
neuen Realitäten und Perspektiven auseinanderzusetzen. Noch vor dem Ende
des Weltkrieges kam es daher zu Kontakten und informellen Vereinbarungen
zwischen der kaiserlich-königlichen Regierung und dem sozialdemokratischen
Parteivorstand. Einerseits zielten diese auf eine Eindämmung der revolutionären
Fermente, um der Regierung den Rücken freizuhalten, andererseits eröffneten
sie der österreichischen Sozialdemokratie Möglichkeiten, das Instrument der
Arbeiter- und Soldatenräte als parallele Strukturen zu den etablierten Parteiein-
richtungen vorzubereiten.1
Der Aufbau eines Netzwerks von Vertrauensleuten in der Wiener Garnison
durch Julius Deutsch ab Oktober 1918 sowie die Gewinnung Friedrich Adlers
für den Räte-Gedanken trug maßgeblich dazu bei, dass der revolutionäre Über-
gang vom habsburgischen Österreich in die Erste Republik im November 1918
ohne Straßenkämpfe, ohne militärisch-polizeiliche Repression und bürger-
kriegsartige Eskalation verlaufen konnte. Er war somit durchaus atypisch, wenn
auch nicht minder revolutionär. Es handelte sich dabei um eine im zentraleuro-
päischen Raum einzigartige wie in mehrfacher Hinsicht subversive Allianz aus
tendenziell gegenläufigen Konzepten: aus dem revolutionären Räte-Gedanken
und dem letztlich evolutionären austromarxistischen Demokratiebegriff. Auf
der ersten und zweiten Reichskonferenz der Arbeiterräte im März beziehungs-
weise im Juni 1919 gelang es nämlich der österreichischen Sozialdemokratie,
1 Vgl. Hans Hautmann/Rudolf Kropf:
Die österreichische Arbeiterbewegung vom Vor-
märz bis 1945. Sozialökonomische Ursprünge ihrer Ideologie und Politik. 2.
Korr. und
ergänzte Aufl. Wien: Europaverlag 1976, S. 136–139 bzw. detaillierter: Rolf Revent-
low:
Zwischen Alliierten und Bolschewiken. Arbeiterräte in Österreich 1918 bis 1923.
Wien: Europaverlag 1969, S. 53–60 bzw. 81–93.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur