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Einleitende
Überlegungen10
ihren Führungsanspruch auf diesem Feld in demokratisch offener Abstimmung
eindrucksvoll zu bekräftigen. Max Adler, führender Theoretiker des Austromar-
xismus, steckte in seiner Broschüre Demokratie und Rätesystem (1919) dabei die
Grenzen klar ab. Gestärkt durch das Wahlergebnis, das den Sozialdemokraten
einen über 90-prozentigen Vertretungsanspruch zugestand, wies er die radika-
leren politischen Forderungen der KP-Fraktion in Schranken, die auf nur knapp
fünf Prozent gekommen war. Freilich musste die österreichische Sozialdemokra-
tie auf einem zentralen ideologisch-ökonomischen Konflikt-Feld, dem der von
ihr angestrebten Sozialisierung der Schlüsselindustrien, noch im Lauf des Jahres
1919 eine herbe Niederlage zur Kenntnis nehmen.
Vor diesem Hintergrund ist daher in Erinnerung zu rufen, dass – so auch
der Rechtsphilosoph Hans Kelsen – durch den revolutionären Akt des Bruches
zur monarchischen Staatstradition bereits vor Kriegsende (!)
und durch die ein-
gerichtete provisorische Regierung der Republik (Deutsch-)Österreich2 trotz
Adaption alter Verfassungsbestände realpolitisch auch Elemente sowjet-bol-
schewistischer Strukturen (Arbeiter- und Soldatenräte), allerdings im Verbund
mit sozialdemokratischen Politstrategien, zum Tragen gekommen sind. Manche
Umstände der Genese der Ersten Republik weisen daher, was konservativ-ka-
tholische Programmzeitschriften bald aggressiv anprangerten,3 Parallelen zum
sowjetrussischen Modell und zugleich konkurrierende Perspektiven demokra-
tischer Staatswerdung zu ihm auf – und zwar schon seit Ende 1917: Letzteres
belegen auch mehrere, meist anonym gezeichnete Beiträge von Otto Bauer in
der Arbeiter-Zeitung beziehungsweise seine unter dem Pseudonym Heinrich
Weber veröffentlichte Broschüre Die russische Revolution und das europäische
2 Vgl. Hans Kelsen: Verfassungsgesetz der Republik Deutschösterreich (1919).
In: ders.: Werke. Hg. von M. Jestaedt. Bd. 5. Tübingen: Mohr-Siebeck 2011, S. 31–38,
bs. S.
37:
„Die Gründung des Staates Deutschösterreich trägt rein revolutionären Cha-
rakter, denn die Verfassung, in der die rechtliche Existenz des neuen Staates zum
Ausdruck kommt, steht in keinem rechtlichen Zusammenhange mit der Verfassung
des alten Österreich.“
3 Zu nennen ist hier insbes. die Programmzeitschrift des politischen Katholizismus Das
neue Reich [NR], die aggressiv gegen die Republik Stellung bezog und die demokra-
tische Verfasstheit als Produkt einer bolschewistisch-jüdischen Verschwörung gegen
die Legitimität des alten Staates, als „jüdische Infiltration“, denunzierte. Vgl. dazu Bei-
träge wie z.B. N.N.: Die Schieber und die Revolution. In: NR, H. 3/1919, S. 49; Grf.
Czernin: Hoch Lueger! In: NR, H. 20/1920, S. 299–301, bs. S. 301: „Judentum und
Revolution sind unzertrennliche Begriffe.“
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur