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Einleitende Überlegungen 11
Proletariat (1917).4 Im Bewusstsein der austromarxistischen Protagonisten der
Debatten von 1918–1919 hatte dies eine andere Haltung dem entstehenden Sow-
jet-Russland gegenüber zur Folge, als zum Beispiel in der deutschen Sozialdemo-
kratie, eine Haltung, die sich auf einen hegemonialen Vertretungsanspruch im
linken Spektrum stützen konnte. Sie schloss nämlich Aspekte und Forderungen
mit ein, die in der revolutionären Umbruchphase in Deutschland ausschließ-
lich von der KPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutsch-
lands (USPD) und den von ihr dominierten Räte-Gruppierungen verfochten
wurden. Sichtbar wurden diese vor allem in den Debatten über die Funktion
der Arbeiter- und Soldatenräte, über deren Rolle im Hinblick auf den Aufbau
des Sozialismus sowie im Kontext der Frage der Gewalt als politische Strategie,
wo sich die Positionen entscheidend auseinanderentwickelten. Letzteres zeigte
sich zum Beispiel im März 1919 im Zuge der Aufforderung Bela Kuns an die
österreichische Arbeiterschaft sehr deutlich. Kuns Ansinnen, auch Österreich zu
einer Rätediktatur nach ungarischem Vorbild zu bewegen, wurde nach kurzen
kontroversen Diskussionen abgelehnt und mit negativen Einschätzungen der
Realisierbarkeit einer „Diktatur des Proletariats“ begründet. Die Programmzeit-
schrift Der Kampf bietet hierzu 1919–20 ein Reihe instruktiver Beispiele, und
die Berichterstattung in der Tagespresse, einschließlich der liberal-bürgerlichen,
zeigt an, wie umkämpft dieses Terrain war und welche Präsenz es hatte. So leg-
ten recht unterschiedliche Repräsentanten des (links-)sozialdemokratischen
Spektrums wie Max Adler und Therese Schlesinger 1919 Beiträge vor, die zum
einen den Rätegedanken als wichtige Perspektive im Prozess der Umgestaltung
der gesellschaftlichen Verhältnisse anerkannten. Zum anderen zogen sie freilich
in der Frage der Gewaltanwendung eine scharfe Trennlinie zu allen Versuchen,
diese durch putschartige, nicht durch eine Mehrheit innerhalb der Arbeiterbe-
wegung getragene Bewegung zu erlangen. Auch bürgerliche Künstler wie Adolf
Loos und Arnold Schönberg wirkten an den Richtlinien für ein Kunstamt 1919
prominent mit, wenngleich sie sich später von ihren Sozialisierungsprojekten
4 Vgl. Arnold Suppan:
„Eine Revolution für den Frieden.“
– Kommentare und Berichte
zur Russischen Oktober-Revolution in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“. In:
Guido Haus-
mann/Angela Rustmeyer (Hgg.): Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus ost-
europäischer Perspektive. Festschrift für Andreas Kappeler. Wiesbaden: Hassarowitz
2009 (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Bd. 75), S. 403–423, bs. S. 406
(Besprechung der Broschüre Bauers durch Max Adler). Zu O. Bauer vgl. auch Wolf-
gang Maderthaner: Das Prinzip Hoffnung. Otto Bauer und die russische Revolution.
In: Verena Moritz: 1917. Österreichische Stimmen zur Russischen Revolution. Salz-
burg-Wien: Residenz 2017, S. 231–242.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur