Seite - 19 - in Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Bild der Seite - 19 -
Text der Seite - 19 -
Einleitende Überlegungen 19
hatte, widmete der russisch-sowjetischen Musik gleich drei Schwerpunkthefte
zwischen 1922 und 1931 und berichtete regelmäßig über den wechselseitigen
Transfer in Form von Gastkonzerten und Besuchen. 1928 trat schließlich das
Leningrader Opernstudio bei den Salzburger Festspielen auf, ein zunächst kul-
turpolitisch umstrittenes Projekt, schließlich aber ein erfolgreiches auf künstleri-
scher Ebene und von der Resonanz her selbst in der bürgerlichen Musikkritik.20
Es darf daher nicht übermäßig wundern, dass die Filmmusik für eines der wich-
tigsten und die Filmästhetik nachhaltig prägenden Filmwerke der 1920er Jahre,
jene für Sergej Ejzenštejn Panzerkreuzer Potemkin von Edmund Meisel kom-
poniert wurde und somit von einem Künstler, der zwar vorwiegend für Erwin
Piscator in Berlin arbeitete, aber aus Wien stammte.
Der Verweis auf Meisel und seine primäre Wirkungsstätte Berlin wirft die
Frage auf, inwieweit es sich bei den meisten der angesprochenen Transfer- und
Rezeptionsbeziehungen im Bereich von Kunst, Literatur und Musik nicht um
Phänomene handelt, die im gesamtdeutschsprachigen, ja zentraleuropäischen
Raum in ähnlicher Weise zu beobachten gewesen sind und insofern die spezi-
fisch österreichisch-russische Konstellation nicht ausreichend beziehungsweise
zwingend kenntlich macht. Dem ist entgegenzuhalten, dass in bisherigen Dar-
stellungen die zahlreichen und profunden Beiträge österreichischer Provenienz
sowie die spezifischen Diskurslagen auf politisch-kultureller Ebene tendenziell
dem kulturellen Leben der Weimarer Republik einverleibt worden und als solche
somit kaum mehr kenntlich geblieben sind. Im Besonderen gilt dies für den lite-
rarischen Transfer- und Rezeptionsdiskurs, der nahezu ausschließlich aus einer
Berliner Optik präsentiert und diskutiert wird, als wären die arbeitsbedingten
Berliner Lebensabschnitte von Joseph Roth, Leo Lania oder Arthur Holitscher
allein schon ausreichend, deren österreichischen Hintergrund als quantité né-
gligeable auszublenden.21 Selbstverständlich fungierten das ‚Russkij Berlin‘ der
1920er Jahre mit seinen Verlagen, Zeitungen, Politzirkeln und Kabaretts22 sowie
20 Vgl. Soma Morgenstern:
Russen in Salzburg. In:
Frankfurter Zeitung (23.7.1928), zit.
nach ders.: Kritiken, Berichte, Tagebücher. Lüneburg: zu Klampen 2001, S. 199f.
21 So z.B. Simon Huber:
Orientierungsfahrten. Sowjetunion und USA-Berichte der Wei-
marer Republik als Reflexionsmedium im Modernediskurs. Bielefeld:
Aisthesis 2014,
S.
17, wo von der „Orientierungsfunktion“ der behandelten Reisetexte, darunter auch
Arthur Rundts Ein Mensch wird umgebaut, „für die Weimarer Republik“ die Rede ist.
Vgl. auch: R. Seth C. Knox: Weimar Germany between Two Worlds. The American
and Russian Travels of Kisch, Toller, Holitscher, Goldschmidt, and Rundt. New York
u.a.: Peter Lang 2006 (= Studies on Themes and Motifs in Literature, Vol. 81).
22 Vgl. dazu die Beiträge in: Karl Schlögel (Hg.): Russische Emigration in Deutschland
1918 bis 1941. Leben im europäischen Bürgerkrieg. Berlin: Akademie Verlag 1995.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur