Seite - 57 - in Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Bild der Seite - 57 -
Text der Seite - 57 -
Die neuen „Russophilen“ und ihr Russlanddiskurs 57
Kriegskorrespondent sind dagegen bislang auf weniger Aufmerksamkeit gesto-
ßen, obwohl sie die ersten Reaktionen Roths auf das „neue Russland“ enthalten.
Zwischen Ende Juli und Anfang August 1920 lieferte Roth kürzere und län-
gere Berichte aus dem „russisch-polnischen Krieg“, die Sympathien für die
russischen Soldaten, deren Offiziere und für die „neue Ordnung“ insgesamt zu
erkennen geben. Roth stellt sich dabei als neutraler und sachlicher Berichterstat-
ter dar, der die „falschen“ Berichte und Meinungen zu diesem Thema zurecht-
rücken wolle. Aufschlussreich dazu der mehrteilige Aufsatz Die Rote Armee,
der umfangreichste Text, bestehend aus „Stimmungsbildern“, die das Neue, das
Besondere der Sowjetarmee herausstellen wollen, wobei Roth mit Bewunderung
nicht zurückhält. Stefan Kaszyński ortet darin folgende Interessenslage: „Man
merkt seinen Texten sehr wohl an, dass ihr Autor sich bemüht, dem Geschmack
und den Ansichten seiner Auftraggeber einerseits und dem Erwartungshorizont
seiner österreichischen Leser andererseits nachzugehen“.23 Dabei eile bei Roth
„die persönliche Anteilnahme den Fakten voraus“. Roth, so Kaszyński, sei „ein
talentierter Stimmungsmacher“. Russen als Sieger „werden weitgehend in einem
positiven Licht geschildert. Ob dahinter ein Vorurteil oder auch eine gezielte
politische Strategie steht, bleibt bis heute ungeklärt […]. Die Passagen über die
Rote Armee gewinnen jedenfalls in den Berichten Roths zunehmend an positi-
ver Substanz“.24
Besonders auffallend wirkt der Abschnitt Genosse Regimentsarzt, in dem Roth
regelrecht eine Hymne auf die Demokratisierung der „Sowjet-Armee“ anstimmt
Sowjetstaat in Joseph Roths feuilletonistischem Werk. In: Österreichische Osthefte,
H.
3/1986, S.
341–349; Hartmut Scheible:
Joseph Roths Reise durch Geschichte und
Revolution. Das Europa der Nachkriegszeit:
Deutschland, Frankreich, Sowjetunion.
In:
Michael Kassle/Fritz Hackert (Hgg.):
Joseph Roth:
Interpretation. Rezeption. Kri-
tik. Tübingen: Stauffenburg 1990, S. 307–334; David Turner: „Überwältigt, hungrig,
fortwährend schauend“. Joseph Roth’s Journey to Russia in 1926. In:
Helen Chambers
(Hg.):
Coexistent contradictions:
Joseph Roth in retrospect. Riverside:
Ariadne Press
1991, S. 52–77; Olga Kozonkova: Das Russen- und Russlandbild im Frühwerk Hei-
mito von Doderers. In:
Österreichische Literatur:
Ort der Begegnungen (= Jahrbuch
der Österreich-Bibliothek) in St. Petersburg, Bd. 11/2013–2014, S. 92–106.
23 Es geht hier aber eher um seine deutschen Leser.
24 Stefan Kaszynski:
Roths Rapporte aus dem polnisch-bolschewistischen Krieg im Kon-
text seiner Journalistik. In: Alexander Stillmark/Hans-Dieter Heinz (Hgg.): Joseph
Roth. Der Sieg über die Zeit. Londoner Symposium. Stuttgart:
Heinz 1996, S.
31–33
bzw. 38–40.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur