Seite - 73 - in Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Bild der Seite - 73 -
Text der Seite - 73 -
Russlandbilder bei Weiß, Musil, Lania und Rundt 73
Während das (west-)europäische Theater Schauspieltheater geblieben oder
zunehmend Regietheater mit dem Nachteil einer „gewissen friderizianischen
Exerzierplatzöde“ geworden sei, verkörpere das Moskauer Künstlertheater das
„Dichtertheater“ in einer Weise, in der es „dem Kunstwerk sein eigenes Leben
gibt, das Organische, Gewordene, Unausdrückbare und die Unerschöpflichkeit
seiner Wirkungen“.24
Auf das russische Theater, genauer auf eine mit ihm lose verknüpfte Form,
kommt Musil dann wieder im Dezember 1922 beziehungsweise im März 1923
zu sprechen: auf die Wilnaer Truppe und das durch sie verkörperte jiddische
Theater einerseits sowie auf Kleinkunstbühnen rund um den Blauen Vogel ande-
rerseits. Über letztere attestiert Musil: „Im ‚Blauen Vogel‘ ist der Geist Stanis-
lawskis und der Moskauer Schauspielergemeinschaft noch am lebendigsten.“ In
der Besprechung zur Wilnaer Truppe wird diesem Aspekt ebenfalls Bedeutung
eingeräumt, und zwar dergestalt, dass „die schauspielerische Kunst aller dieser
Truppen […] von dem Moskauer Künstlertheater beeinflußt [ist]“. Darüber hin-
aus gibt Musil zu erkennen, dass er trotz Unsicherheit im Hinblick auf die lite-
rarische Verortung der aufgeführten Stücke regelmäßiger Besucher jiddischer
Aufführungen gewesen ist und dabei vor allem Ossip Dymow schätze, insbeson-
dere die Aufführung seines Sch’ma Jisroël (Mai 1921, Freie Jüdische Volksbühne)
als „einem phantastischen Drama“.25 Im Dezember 1922 dürfte er auch dem in
der Besprechung nicht explizit genannten Dorfsjung im Zuge eines Gastspiels an
der Rolandbühne seit Ende November 1922 beigewohnt haben.
3 Loe Lanias Russland-Arbeiten
Mit Russland beziehungsweise der Rezeption verschiedener Aspekte der rus-
sisch-sowjetischen Wirklichkeit nach 1917/18 war auch die politische und
schriftstellerische Karriere des 1896 in Charkow als Hermann Lazar geborenen,
seit 1903 in Wien und in den 1920er Jahren vornehmlich in Berlin lebenden und
24 Ders.: Nachwort zum Moskauer Künstlertheater. In: ebd., S.
1528f.
25 Ders.: Die Wilnaer Truppe in Wien [8.12.1922]. In: ebd., S. 1613–1615, bs. S. 1614.
Zum Gastspiel in der Rolandbühne vgl. A.M.:
Gastspiel der Wilnaer Truppe. In:
Arbei-
ter-Zeitung 30.11.1922, S. 6. Der erste Auftritt der Wilnaer Truppe noch vor Ende
des Ersten Weltkriegs datiert auf den 8.6.1918 im Deutschen Volkstheater mit dem
Stück Nju. Zur Wilnaer Truppe und ihrer auch in Wien gespielten Stücke vgl. Brigitte
Dallinger:
Handbuch Jüdische Kulturgeschichte. Online unter:
http://hbjk.sbg.ac.at/
kapitel/auffuehrungspraxis/ (letzter Zugriff: 15.10.2016), bzw. Robert Musil: Russi-
sche Kleinkunst. In: ders., Gesammelte Werke 9, S. 1615–1617, hier S. 1616.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur