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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 79 -
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Russlandbilder bei Weiß, Musil, Lania und Rundt 79 vornehmlich feudal-agrarischen sozio-ökonomischen Strukturen rühren, Fra- gen, die Rundt unter Abwägung des Gewinn-Verlust-Kalküls für die Betroffe- nen wie für den Staat thematisiert: Leben und Bestehen des Sowjetstaates ist aufs engste mit der Frage verknüpft, ob es gelingt, den russischen Bauern der neuen Staatsform einzufügen und dienstbar zu machen. Es han- delt sich nicht nur darum, ihn durch Zwang in die Kollektiv-Landwirtschaft zu pressen, das Problem heißt:  100 Millionen russische Bauerngehirne von den Vorteilen der kollektiven gegenüber der Individual-Wirtschaft zu überzeugen. [AR  65] Was sich auf dem ersten Blick wie eine Volte gegen Zwangskollektivierung und somit gegen das Sowjet-System anhört, erweist sich auf den nachfolgenden Seiten als abwägende, auf Fallbeispiele gestützte Auseinandersetzung mit Facetten der gerade im Umbruch beziehungsweise Umbau befindlichen Wirklichkeit. Dabei kommen einzelne neue Berufsbilder als Zeichen der Modernisierung gut weg, zum Beispiel das des Traktoristen [AR  72], während die noch im experimentellen Zustand befindlichen Getreide-Sowchosen eher auf skeptische Resonanz stoßen, würden sie doch den Typus des dörflichen Bauern zu sehr jenem des Industrie- arbeiters annähern [AR  73]. Bei nahezu allen Überlegungen zu diesen Umbau- Prozessen stellt Rundt Vergleiche mit der amerikanischen Wirklichkeit an. Die angepeilte Produktivität als Ausweis sowjet-kollektivistischer Überlegenheit über das Individualkonzept scheint ihm, Rundt, kapitalistisch-amerikanischen Produk- tionsformen allerdings tief verwandt zu sein. Auch Veränderungen im Sprachlichen registriert Rundt mit Interesse, beglei- ten sie nämlich diesen als Modernisierung konzipierten Umbau-Prozess und stellen, mitunter auch in subtiler ironischer Brechung, neue Ausdrucksformen bereit, etwa Wortspiele im Umfeld der Maschine („stanká“) bis hin zu einem „Sowjet-Rotwelsch“ [AR  86]. Im Anschluss berichtet er von der neuen russi- schen Schule, die weder Drill noch Konkurrenzkampf kenne, sondern nur den Einsatz für „das neue Leben, das aufgebaut werden soll“ [AR  98]; eine Schule, die den Brückenschlag zur Arbeitswelt suche, darauf aus, „die Fesseln der Tradi- tion zu lösen“ [AR  100], weshalb „überall […] das Prinzip kollektiven Handelns gelehrt [wird]“. Hinter dessen Fassade meint Rundt freilich auch Härte und Erziehung zu „kalter Nüchternheit“ wahrzunehmen:  „Es lernt, daß eine tech- nisch hochentwickelte Welt die nächste Stufe ist auf dem Weg zu einer besse- ren Welt, es denkt mechanisch und materialistisch, es träumt von Fabriken und Traktoren.“ [AR  103] Träumt ‚es‘ auch „unsentimental“, so träumt es immer- hin  – einerseits eine „Freude auf eine bessere Zukunft“ [AR,  61], andererseits im Sinn eines aufblitzenden letzten Rückzugsraums vor dem allumfassenden Kol- lektivierungsprogramm, das als „Befreiung der Individuen von den Belastungen
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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