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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 85 -
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E. Fischers Auseinandersetzung mit der Sowjetunion 85 nach dem Ball  – und Gewehre werden in Anschlag gebracht; er stößt zu  – und die Salve stürzt in die Herzen seiner Untertanen.“5 Es ist evident, dass diese Szene über das Massaker von Petersburg im Jahre 19056 in Korrespondenz zu der berühmten Treppenszene in Sergej Ėjzenštejns Film Panzerkreuzer Potemkin von 1925 steht, die 1905 in Odessa spielt und ebenfalls ein Massaker schildert. Auf diesen Film Ėjzenštejns geht Fischer in seiner Besprechung des sowjetischen Films Maschinist Uchtomski im April 1927 auch explizit ein. Beide Filme zeugen, so Fischer, von einem „zu letzter Konsequenz gesteigerten Weltgefühl“.7 Dieses Weltgefühl nennt Fischer Sozialismus und charakterisiert diesen wiederum mit der Unsterblichkeit der Masse, womit zugleich die Idee der Revolution unsterb- lich sei:  „Hunderte fallen, Tausende stürzen, in Millionen erblüht ihr Blut.“ In diesem Film ist es der Maschinist Uchtomski, der aus der Masse der Namenlosen heraustritt, und die „tiefste Pflicht des Proleten, des Menschen der Gegenwart [erfüllt]:  da zu sein, wenn die Masse ihn braucht.“8 Die sowohl an beiden besprochenen Filmen als auch am Panzerkreuzer Potemkin von Fischer in den hier zitierten filmkritischen Texten akzentuierte dramaturgische Funktion der Masse ist im Übrigen die zentrale Kategorie des gesellschaftlichen Wandels in der jungen Sowjetunion. Sie wird 1926 zum Beispiel auch von René Fülöp-Miller in seinem kompendiösen Augenzeugenbericht Geist und Gesicht des Bolschewismus als prägendes Phänomen in allen kulturellen und politischen Berei- chen beobachtet. Fülöp-Miller definiert den Bolschewismus geradezu durch seine Apotheose der Masse: Alles, was heute in Rußland geschieht, geschieht um der Masse willen; jede Handlung ordnet sich ihr unter. Kunst, Literatur, Musik und Philosophie dienen nur mehr dazu, um ihre unpersönliche Herrlichkeit zu lobpreisen, und allmählich verwandelt sich alles umher zu einer neuen Welt des allein noch herrschenden „Massemenschen“. […] Mit nie geahnter Kühnheit wird in Rußland versucht, an dem Urbild des Menschen selbst eine Korrektur vorzunehmen, den bisherigen Typus […] „seelenbehaftete Individual- kreatur“ auszulöschen und sie durch einen „höheren Typus“, durch eine  – wie man 5 Ebd. 6 Der Film hieß im russischen Original Der 9.  Januar. Er orientierte sich an Maksim Gor’kijs gleichnamiger Erzählung, die er nach seiner eigenen Teilnahme an dieser Demonstration niedergeschrieben hatte (vgl. Viktor Sklovskij:  Ejzensteijn. Reinbek b.H.:  Rowohlt 1977 (= dnb 55), S.  139–150). 7 Ernst Fischer:  Maschinist Uchtomski. In:  Arbeiter-Zeitung (12.4.1927), S.  8. 8 Ebd.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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