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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 105 -
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Miszellen zum Amerika-Russland-Diskurs 105 Fёdor Dostoevskij dem „russischen Volk“ ihre Stimme geliehen haben.36 Doch „[n] ach dem Bilde der russischen Literatur baute der Westen seine Anschauung […] und erhielt so jenes sentimental-romantische Bild, dem weißer und roter Terror unverständlich und unfaßlich erscheinen“, so Georg Kollmann über jene „Dostojewski-Russen, die Europa vor den Augen seiner Phantasie hat“37 und die, glauben wir Maria Lazar, 1927 noch immer den Blick darauf verstellen, dass [i] n Rußland […] vor zehn Jahren […] die Sowjetrepublik gegründet [wurde]. Das bedeutete […] eine neue Welt für alle und jeden. Auch für den Dichter. […] Das Leben hatte ein neues Gesicht bekommen. Ein zerschundenes, ein blutiges  – aber ein neues und junges Gesicht. ‚Das ist alles Tendenz und Propaganda‘, sagt achselzuckend die europäi- sche Bourgeoisie, wenn von neuer und neuester russischer Literatur die Rede ist. Und sucht die russische Seele […] in den kindisch bunten Verkleidungen des Blauen Vogels. Und man hat recht. […] Wer in den ersten Jahren des Selbsterhaltungskampfes der Sow- jetrepublik in Rußland hätte sich fernhalten können von Tendenz und Propaganda?38 Als Exponenten einer „Propaganda des Durchhaltens“ porträtierte die Wie- ner Schriftstellerin in ihrem in der Arbeiter-Zeitung veröffentlichten Essay vor allem Il’ja Ėrenburg und Fёdor Gladkov. Dessen Zement sei der „größte Ten- denzroman der Gegenwart, unerreichbar in seiner wuchtigen Gestaltungskraft“, so Lazar, die einleitend auch die literarische Produktion der USA gestreift hat, und zwar als Komplement zur sowjetrussischen Literatur der Gegenwart. „Die Weltliteratur, die immer der getreueste Spiegel der Weltsituation ist, schwankt derzeit zwischen zwei Extremen:  zwischen Rußland und Amerika, zwischen der nüchternen Phantastik des Ostens und der phantastischen Nüchternheit des Westens“, während die literarische Produktion in Europa sich „in die großväter- lichen Formen der achtziger Jahre“ flüchte.39 „Man muß die jungen Russen, die jungen Amerikaner lesen, um dem eigenen Leben ins Antlitz zu sehen“, wird ein Jahr später am selben Ort auch Ernst Fischer klarstellen. Der (bürgerliche) euro- päische Literat nämlich begnüge sich damit, „Worte, Probleme, Erkenntnisse, die vor 1914 in der Luft lagen“, durchzukauen  – scheinbar unbeeindruckt vom Sieg der Revolution in Russland, vom entfesselten amerikanischen Kapitalismus und vom Chaos in Europa, wo „Demokratie, Fascismus, Sozialismus um die Zukunft [ringen]“. Als die beiden „einander ergänzenden, einander widersprechenden Dokumente unserer Seele“, die nach Fischers Dafürhalten die weltliterarische 36 Stefan Zweig:  Rede zu Ehren Maxim Gorkis. In:  NFP (25.3.1928), S.  31f. 37 Georg Kollmann:  Rußlandbücher. In:  Die Waage, Nr.  26/1923, S.  804–807, zit. S.  804. 38 Maria Lazar:  Tendenz und Propaganda. In:  Arbeiter-Zeitung [fortan:  AZ] (6.11.1927), S.  21. 39 Ebd.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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