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Rebecca
Unterberger114
der Frau“ und „den Methoden der Kindererziehung“ in den USA respektive
Russland evident.78 Tatsächlich wurden die beiden ‚modernsten Staaten der
Welt‘ auch in diesbezüglichen Diskussionen über innerösterreichische Ent-
wicklungen im Feuilleton beleuchtet – je nach ideologischer Positionierung als
vorbildliche oder abschreckende Beispiele und oftmals im Verbund. Als „Moral-
bolschewismus“79 im (Roten) Wien ahndeten katholisch-konservative Kreise
etwa die „Revolutionierung der bisher strengen moralischen Anschauungen“,80 als
deren ‚Urheber‘ sich der „neue Frauentypus der vermännlichten, […] ‚versach-
lichten‘ Frau“81 ausmachen und sich den amerikanischen und russischen Frauen
gleichermaßen ‚anlasten‘ ließ.
In Wechselschau zwischen Russland und Amerika wurden in beziehungs-
weise für Österreich auch Phänomene wie der „rationalisierte Haushalt“82 disku-
tiert und realisiert: Margarete Schütte-Lihotzky entwarf ihre eigentlich für den
Wiener Siedlungsbau konzipierte Frankfurter Küche unter Berücksichtigung
von Forschungen zur Arbeitseffizienz im kapitalistischen, taylorisierten Produk-
tionsprozess und sowjetmarxistischer Sozialforschung zur Arbeitserleichterung
im Dienste der Emanzipation.83 Dass, um abschließend noch auf im vorliegen-
den Band aufgezeigte Wechselwirkungen hinzudeuten, Max Brand kompo-
sitorisch sowohl dem Klang des Ostens als auch dem des Westens ‚lauschte‘,84
Wohnbauprojekte im ‚Roten Wien‘ Anleihen an amerikanischer Architektur
nahmen85 oder Joseph Gregor und René Fülöp-Miller Zwillingspublikationen
über das Theater in Russland und den USA als den beiden „Polen der Gegen-
wartskultur“86 vorlegten, belegt zudem die Virulenz des Amerika-Russland-Dis-
kurses zur Zeit der Ersten Republik.
78 Wengraf, AMERIKA EUROPA RUSSLAND, S.
41.
79 Georg Bichlmair: Moralbolschewismus. In: RP (28.9.1930), S. 3f.
80 N.N: Die Frau in Amerika. In: Die Unzufriedene, Nr. 27/1927, S. 3.
81 J[osefine] W[idmar]:
Amerika und das neue Frauenideal. In: RP (29.4.1928), S. 17.
82 Rosie Graefenberg: Hausfrau in Moskau. In: Prager Tagblatt (23.12.1928), S. 3f.
83 Vgl. Helmut Weihsmann: Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und
Kommunalpolitik 1919–1934. Wien: Promedia 22002, S. 43.
84 Vgl. den Beitrag von M. Hoffmann.
85 Vgl. den Beitrag von V. Faber.
86 Vgl. den Beitrag von K. Ifkovits.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur