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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 128 -
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Walter Fähnders128 Das mag dann auch der Glaubwürdigkeit in Sachen Roman dienen. Als man die Heldin fragt, weshalb sie nach Russland gereist sei, antwortet sie ihren Arbeits- genossinnen:  „Ich bin hergekommen, um das Leben des Sowjetarbeiters kennen- zulernen“. Dem Tagebuch und nur diesem (und somit auch dem Leser und der Leserin) vertraut die Schreiberin aber den ursächlichen Grund an:  „Hauptsäch- lich aus Sensation und auch ein wenig, weil mein Freund, ein amerikanischer Ingenieur, hier beschäftigt ist. Aber hier darf ich es nie und nimmer sagen, sonst bin ich unten durch.“ [RA  11] Mit ihrer Notlüge positioniert sich die Protago- nistin im Betrieb und wird bereitwillig als „Genossin“ akzeptiert. Der amerikani- sche Freund namens Ralph  – „Über seine Ansichten läßt sich streiten, über sein ‚Äußeres‘ nicht.“ [RA  71]  – arbeitet bei Putilow als „Spez“, als einer jener vielen ausländischen „Spezialisten“ also, die in der Sowjetunion in technischen Leitungs- funktionen tätig sind. Mit diesem Ralph nun ist die Protagonistin zusammen, ein reichlich naiver fellow-Typ, der „die Russen so gern [hat], daß er ihnen auch den Kommunismus verzeiht“ [RA  24]. Bereits am ersten Arbeitstag lernt sie aber den Facharbeiter und Kader Viktor Solowjow kennen, der sie in dem Maße fasziniert, wie ihre Distanz zu Ralph wächst. Die Dreieckskonstellation vermischt sich mit politischen Elementen. Die Heldin trennt sich von Ralph, Viktor aber erklärt, daß er seine kranke Frau, eine ehemalige Partisanin, nicht verlassen und auch kein „Doppelleben“ [RA  203] führen wolle. Schließlich wird Viktor in die Stalingrader Werke abkommandiert. Bei der Ausmalung dieser potenziellen Dreierbeziehung fällt auf, dass Lili Körber Klischees zu umschiffen weiß:  Der unhaltbar gewordenen alten Beziehung folgt eben keine Romanze mit dem Sowjethelden. 5 „Arbeit“ „Ich bin anders geworden“ [RA  142], lautet ein späterer Tagebucheintrag. Die wachsende Integration in den Betrieb verleiht dem Gefühlschaos zunehmend Ordnung, wobei sich in der Tagebuchreflexion die konkrete Arbeit in eine Art Arbeitsutopie und zur Utopie eines anderen Lebens überhaupt ausweitet: Nur im Betrieb finde ich mich wieder. Hier hat alles seinen Sinn. Arbeiten, um sich sein Essen zu verdienen? Ja, natürlich, auch. Aber die Hauptsache ist etwas anderes. Man verwirklicht den Traum seiner Kindheit, baut eine Welt auf, nicht aus Schnee oder Sand, sondern eine richtige. [RA  56] Was auch immer im Einzelnen diese ‚richtige‘ Welt ausmacht  – es ist eine Welt der Arbeit. Bekanntermaßen spielt die Darstellung der sozialistischen Produk- tion und der sozialistisch „befreiten“ Arbeit in den einschlägigen Reiseberichten von Kisch bis Roth, Rubiner und F.C. Weiskopf eine exponierte Rolle  – auch und gerade unter dem Aspekt einer Taylorisierung und Amerikanisierung
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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