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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 129 -
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Lili Körbers Eine Frau erlebt den roten Alltag 129 sowie einer Technikgläubigkeit sondergleichen ausgerechnet im Kontext der sozialistischen Arbeit.25 Annemarie Schwarzenbach, die 1934 zu Gast auf dem sowjetischen Schriftstellerkongress dieses Jahres war, notierte:  „Für uns hat der enthusiastische Glaube an die Technik etwas Naives, weil wir ihr Desaster erlebt haben; die Russen hingegen teilen mit den Amerikanern die primitive Freude an der Maschine, am Tempo, am technischen Fortschritt.“26 Bei Lili Körber lautet der erste Tagebucheintrag: 1. Juli So sieht also eine Sowjetwerkstatt aus. Durch das gläserne Dach kommen ganz Bündel von Licht, die Kopftücher der Arbei- terinnen glühen wie Lampione. Festbeleuchtung? Jawohl! Blanke Maschinen geben die Spiegel ab und auch die Musik. Das ist ein Brausen um die Wette  – so ein mächtiges Orchester hat nicht einmal der Zar gehabt! Die Tänzer  – schlanke Stähle  – drehen sich mit Blitzesschnelle, stampfen sich ins Eisen hinein, daß Metallfunken nur so aufsprü- hen, schälen von den Blöcken und Hebeln mutwillig das braune Kleidchen herunter, ihre glitzernden Silberkörper bloßlegend … […]. Gegen Mittag ist es als ob der Rhythmus beschleunigt würde  – so wie gute Pferde rascher laufen, wenn sie in der Nähe den Stall spüren. Aus der Montage kommt ein Mädel mit ihrem Wägelchen, holt sich die fertigen Stücke  – der Wagen ist elektrisch, sie steht vorn und kutschiert mit einer Stange, sieht aus, als fahre sie Karussell. Nun ja eben, es ist ein Fest, und selbst an Konfetti fehlt es nicht  – da springt es in kleinen glänzenden Stücken von den Werkbänken herunter. Ein Fest, ein richtiges Fest der Arbeit! [RA 9f.] Vergleicht man diese Arbeitshymne mit dem bereits erwähnten, gleichzeitig erschienenen Putilow-Bericht des österreichischen Metallarbeiters Leo Weiden, so zeigt sich die besondere Literarizität bei Körbers Bemühen, die Utopie vom „Fest der Arbeit“ ästhetisch zu bewältigen. Leo Weiden verfolgt eine erkenn- bar andere Erzählstrategie, der es um das Informative, um das Objektive der Arbeitszusammenhänge und nicht um deren subjektive Verarbeitung, geht. Insofern braucht er auch keine ausladende Bildlichkeit, wenn er, wie er es nennt, „die Intensität der Arbeit“ benennt. Das erste Kapitel, überschrieben „Die erste Turbine“, beginnt wie folgt: 25 Vgl. ders.:  „Amerika“ und „Amerikanismus“ in deutschen Rußlandberichten der Wei- marer Republik. In:  Wolfgang Asholt/Claude Leroy (Hgg.):  Die Blicke der Anderen. Paris–Berlin–Moskau. Bielefeld:  Aisthesis 2006 (= Reisen Texte Metropolen, Bd.  2), S.  101–120. 26 Annemarie Schwarzenbach:  Notizen zum Schriftstellerkongreß in Moskau. In:  dies.:  Auf der Schattenseite. Ausgewählte Reportagen, Feuilletons und Fotografien 1933–1942. Hg. v.  Regina Dieterle u.  Roger Perret. Basel:  Lenos 21995 (= Ausgewählte Werke, Bd.  3), S.  35–62, zit. S.  38.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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