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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 140 -
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Ievgeniia Voloshchuk140 Deklarationen zum Trotz, in diesem Sinne als Nachfolger des russischen Zaren- reiches wirkte, war für Roth ein Zeichen für ihre „nicht-europäische“ historische Weiterentwicklung, die von diesem Gesichtspunkt aus gesehen den neuen Staat bloß zur Modifikation des untergegangenen Imperiums machte. Darum erlebt der Roth’sche Erzähler seine Einreise in die Sowjetunion als eine Überschreitung der Grenze „zwischen Welt und Welt“ [RW  595]. Daneben kommen in dieser Szene jene Merkmale zum Vorschein, an denen die neueren bolschewistischen Mutationen des Codes und des Genoms des alten Imperiums erkennbar werden. Als eine unheimliche Metapher der Erlebnisse an der sowjetischen Grenze lässt sich das Bild der bei der Visitation herausgezogenen Stehaufmännchen interpre- tieren, deren Gesichter zugleich „grinsen, lachen und weinen“ [RW  595]. 3 Wohin geht das neue Russland? Indem Roth über seine Reise durch die Sowjetunion eingehend berichtet, kartiert er das Land als ein alt-neues Imperium, das zwar in seinen regionalen Unter- schieden als ein heterogenes Staatsgebilde erscheint, in seinem Geist jedoch ein- heitlich ist. Diese Einheitlichkeit impliziert allerdings eine bizarre Kombination von Rudimenten des patriarchalen Zarenreiches und Keimen der bolschewisti- schen Moderne. Die unterschiedlichen Gesichter dieses Imperiums kommen in verschiedenen Regionen zum Vorschein. So tritt im europäischen Westen des Landes, wie es die Erfahrung mit der Grenze in Niegoreloje bezeugt, das bolsche- wistisch-bürokratische Gesicht des Staates in den Vordergrund, das sich durch eine Mischung aus zum Dogmatismus degenerierter revolutionärer Energie und der von der klassischen russischen Literatur angeprangerten Vorschriftenbe- sessenheit des zaristischen Russlands auszeichnet. In der sowjetischen Haupt- stadt werden dann Züge eines aggressiven militaristischen Imperiums sichtbar, wovon Roths detaillierte Schilderung der berühmten Militärparade am Roten Platz deutlich Zeugnis ablegt („Der neunte Feiertag der Revolution“). Dieser Platz, voll von paradierenden Massen, wirkt hier als offizielle Fassade der sow- jetischen Hauptstadt. Es fällt sofort auf, dass als Hauptgebäude des Roten Plat- zes das Lenin-Mausoleum hingestellt wird, das der Autor als eine Symbiose von Denkmal und Rednertribüne darstellt. Mit dieser symbolischen Charakteristik bringt Roth die nachrevolutionären Transformationen der sowjetischen Gesell- schaft auf den Punkt, vor allem die Erstarrung des revolutionären Eifers, der in Rhetorisierung der Revolution und blinde Verehrung der Revolutionsführer Hackert. Bd.  4. Köln:  Kiepenheuer & Witsch 1989, S.  1037–1043; ders.:  Die weißen Städte. In:  [RW 456–529].
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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