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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 144 -
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Ievgeniia Voloshchuk144 US-Amerika enthusiastisch begrüßt und als Vorbild menschlichen Fortschritts gepriesen haben, hat er im amerikanischen Modell eine Mischung aus Technizis- mus, Pragmatismus und primitivem Optimismus gesehen. Auf Roths politischer Karte der Zwischenkriegszeit bildet Amerika einen Gegenpol zu Europa, das von ihm als der einzige Bewahrer des humanistischen Geistes wahrgenommen wird.23 „Russland geht nach Amerika“ lautet, wie auch der Titel einer der Reporta- gen, Roths politische Diagnose, die auf den antieuropäischen Weg beziehungs- weise Irrweg hindeutet, der den Sowjetstaat von jenen Zielen abbringen werde, die seine glühenden Ideologen proklamiert haben: [M] an verachtet „Amerika“, das heißt den seelenlosen großen Kapitalismus, das Land, in dem Gold Gott ist. Aber man bewundert „Amerika“, das heißt den Fortschritt, das elektrische Bügeleisen, die Hygiene und die Wasserleitung. Man will die vollkommene Produktionstechnik. Aber die unmittelbare Folge dieser Bestrebungen ist eine unbe- wußte Anpassung an das geistige Amerika. Und das ist die geistige Leere. Die großen Kulturleistungen Europas, das klassische Altertum, die römische Kirche, die Renais- sance und der Humanismus, ein großer Teil der Aufklärung und die ganze christliche Romantik  – sie alle sind bürgerlich. Die alten Kulturleistungen Rußlands:  der Mystizis- mus, die religiöse Kunst, die Poesie, die Slawophilie, die Romantik des Bauerntums, die gesellschaftliche Kultur des Hofes, Turgenjew und Dostojewski:  sie alle sind selbstver- ständlich reaktionär. Woher also geistige Grundlagen für eine neue Welt nehmen? Was bleibt übrig?  – Amerika! Die frische, ahnungslose, gymnastisch-hygienische rationale Geistigkeit Amerikas  – ohne die Hypokrisie der protestantischen Sektiererei:  aber dafür mit der Scheuklappenfrömmigkeit des strengen Kommunismus[.] [RW 631f.; Hervor- hebung im Original] Alle Gesichter des Sowjetimperiums setzen sich zu einem kuriosen Bild eines amerikanisierten Riesenbaus zusammen, der zwischen den Ruinen des zaristi- schen Russlands hochwächst. Über dieser Baustelle wacht ein millionenarmiger seelenloser bürokratischer Apparat, der die Tradition der Alleinherrscherdes- potie zwar hinter sich, die Perspektive der totalitären Macht dagegen vor sich hat. Die ganze Bevölkerung, die von ihren „Führern“ für den Aufbau des neuen Staates mobilisiert wird, ist auf dem Baugerüst anzutreffen:  „Jeder Greis, jedes 23 Vgl. Reiner Frey:  Kein Weg ins Freie:  Joseph Roths Amerikabild. Frankfurt a.M.:  Peter Lang 1982; Kosonkowa, Das Bild Russlands im erzählerischen Werk von Joseph Roth, S.  238–240; Alexander Ritter:  Über das „Gleichgewicht zwischen der Tischplatte und ihrer künstlichen Verlängerung“. Zur kulturkritischen Antithese „Amerika“ und der Lebensbalance in Joseph Roths Hiob. In:  Johann Georg Lughofer/Mira Miladinović Zalaznik (Hgg.):  Joseph Roth:  europäisch-jüdischer Schriftsteller und österreichischer Universalist. Berlin–Boston:  De Gruyter 2011, S.  87–101.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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