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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 148 -
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Ievgeniia Voloshchuk148 Nicht außer Acht zu lassen sind aber die Gründe für dieses vernichtende Urteil über das neue ‚Proletarierreich‘. Entscheidend war hier wohl, dass Roth in Sowjetrussland nach keinem Heiligen Gral von persönlicher oder gesellschaftli- cher Bedeutung suchte. Deswegen wollte und konnte er dem neuen Russland aus einer allgemeinmenschlichen, humanistischen Perspektive ins Gesicht blicken, ohne hierzu ein die Wirklichkeit verzerrendes Okular zu benötigen. Eine solche Perspektive erhob ihn nicht nur über die politisch-ideologischen Scharmützel seiner Zeit, sondern auch über seine eigenen linken Sympathien. Seiner Revision des neuen Russlands lag das Paradigma der Entlarvung zugrunde, das sowohl die persönliche Enttäuschung über das bolschewistische Projekt als auch eine generelle Entzauberung der sowjetischen Wirklichkeit und Ideologie umfasste. Diese Revision wurde im Lichte von Eurozentrismus, europäischem Individua- lismus und europäischem Humanismus durchgeführt. Kein Wunder also, dass Roth seiner „Reise in Rußland“ einen Roman (Flucht ohne Ende, 1927)  hat folgen lassen, dessen Hauptfigur ein Europäer ist, der sich im postrevolutionären Russ- land verliert und nach gescheiterten Versuchen, sich der sowjetischen Lebens- weise anzupassen, am Ende nach Europa flüchtet.26 Die Reportagenreihe Joseph Roths wird mit einer kurzen Geschichte über die Bahnreise des Erzählers in Gesellschaft einer zwar verlockenden, doch äußerst unerquicklichen Dame abgeschlossen. Diese Novelle, die in keinem direkten Bezug zum übrigen Textkorpus zu stehen scheint, zieht einen Schlussstrich unter Roths Reisebericht über die Sowjetunion. Denn die Figur dieser Dame, die bei dem Erzähler zuerst falsche Erwartungen weckt, um ihm dann mit ihren Manie- ren Ärger zu bereiten, lässt sich als ein allegorisches Bild für Sowjetrussland auslegen, das in den Köpfen westeuropäischer Intellektuellen mit großen Erwar- tungen und  – nicht selten  – bitteren Enttäuschungen eng verknüpft gewesen ist. Entscheidend ist hier vor allem die finale Stimmungslage des Erzählers, näm- lich seine heimliche Freude darüber, dass diese auf den ersten Blick anziehende, doch in Wirklichkeit ziemlich lästige Dame ihre Aufmerksamkeit endlich auf ein anderes Objekt gerichtet und den Erzähler in Ruhe gelassen hat [RW  696]. 26 Zu Korrespondenzen zwischen Roths Prosawerken und den journalistischen Texten mit russischem Fokus vgl. Matjaž Birk:  „Der Heroismus der Intellektuellen  – Der liquidierte Heroismus“. Fremd- und Selbstbilder in Joseph Roths und Stefan Zweigs Reisefeuilletons. In:  Lughofer/Miladinović Zalaznik, Joseph Roth, S.  101–119.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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