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Katja
Plachov162
bringe keine selbstständige Philosophie hervor, sondern greife lediglich west-
liche Gedankenmodelle auf, um sie dann zu pervertieren, transferiert die Vor-
stellung eines kulturellen West-Ost-Gefälles. Das seit der Aufklärung dominante
Deutungsmuster, das Russland im Vergleich zum westlichen Europa zivilisato-
risch abwertet, dient, wie Larry Wolff in seiner grundlegenden Studie39 gezeigt
hat, westeuropäischen Intellektuellen noch im 20.
Jahrhundert dazu, „Osteuropa
nach ihren eigenen politischen Phantasievorstellungen zu erfinden“.40 Die dabei
stattfindende Verquickung von Raum- und Zivilisationsdiskursen zur Vergewis-
serung darüber, „dass man [im Westen] in einer besseren Welt lebte“,41 bildet
nach Wolff eine diachrone Konstante westeuropäischer Identitätsbildung mit-
hilfe des Kontrastbilds Osteuropa.42 Diese hier auch von Fülöp-Miller impli-
zierte Denkfigur setzt sich paradigmatisch in den folgenden Kapiteln von Geist
und Gesicht fort.
2.3 II. Abteilung
Es ist bemerkenswert, mit welcher thematischen Bandbreite der Leser in der
zweiten und umfangreichsten Sektion von Geist und Gesicht mit aktuellen
Erscheinungen der sowjetischen Realität in Berührung kommt. In dem Kapitel
Der bolschewikische Monumentalstil etwa widmet sich Fülöp-Miller ausführlich
den Werken Vladimir Tatlins, dessen Modellturm des Monumentes für die III.
Internationale von 1919 auch abgebildet ist.43
39 Vgl. das Kapitel „Imagining Eastern Europe:
Fiction, Fantasy, and Vicarious Voyages“
in: Larry Wolff: Inventing Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of
the Enlightenment. Stanford: Stanford University Press 1994, S. 89–143.
40 Ders.:
Die Erfindung Osteuropas:
Von Voltaire zu Voldemort. In:
Kaser, Europa und
die Grenzen im Kopf, S. 21–34, zit. S. 28.
41 Dubravka Ugrešić: Kultura laži [1999], zit. bei:
Wolff, Erfindung Osteuropas, S.
29.
42 Ebd., S.
24.
43 Vgl. [GG 137–144] bzw. die Bildtafeln 66 und 67 ebd.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur