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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Seite - 165 -
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Deutungsmuster in Fülöp-Millers Reportage von 1926 165 Im Gegensatz zu den oben exemplarisch angeführten, in der Tendenz abwer- tenden Ausführungen zu Tatlin wird Mejerchol’d tatsächlich „echte künstlerische Befähigung und produktive Kraft“ bescheinigt  – als einem der wenigen Künstler, deren Produkte, so Fülöp-Miller, „auch in ihren extremsten Phasen und selbst in den gelegentlichen Verirrungen […] immer wieder eine unleugbare starke Individualität“ vorweisen [GG 165–167]. Eine dichotomische Wertung wird hier fortgeschrieben:  Die positive Konnotierung von „Individualität“ ist das logische Andere zu der als bedrohlich wahrgenommenen „Masse“ und spiegelt damit den vorherrschenden Diskurs in den aufkommenden Sozialwissenschaften zu Beginn des 20.  Jahrhunderts wieder.48 Ein in dieser Sektion von Fülöp-Miller außerdem selektiertes Phänomen ist das jüdisch-russische Ensemble Habima,49 bei dem sich eine Traditionslinie russischer Schauspielkunst erhalten habe, „die einem religiösen Kult der Seele nahekommt und die eingeführt zu haben das Verdienst Stanislawskis bildet“ [GG 162–165]. Insbesondere dieser Glaube an eine „russische Kunstreligiösi- tät“ und an eine „wunderwirkende Rolle des Theaters“ ist im deutschsprachigen Raum als politische Projektionsfläche populär gewesen und bereits von sozial- demokratisch orientierten Autoren vermittelt worden.50 Fülöp-Miller liefert hier jedoch lediglich eine detaillierte Beschreibung von Schauspiel- und Auffüh- rungsverfahren der Truppe und verzichtet auf politische Aufladungen. Die Ver- öffentlichung von Geist und Gesicht fiel zeitlich mit den Gastspielen der Habima in München und Wien51 zusammen, wodurch unter Kulturinteressierten sicher- lich beide Ereignisse an Auftrieb gewannen, da die Theatergruppe mit „unglaub- licher Begeisterung“ vom deutschsprachigen Publikum begrüßt wurde.52 Mithilfe der oben genannten theoretischen Perspektive, Fülöp-Miller als Akteur zu verstehen, der auch aufgrund pragmatischer Interessen bestimmte Vorstellungen über die Sowjetunion geformt und transferiert hat, wird anhand 48 Vgl. Michael Gamper:  Masse lesen, Masse Schreiben. Eine Diskurs- und Imagina- tionsgeschichte der Menschenmenge 1765–1930. München:  Wilhelm Fink 2007, S.  27f. 49 Vgl. Shelly Zer-Zion:  Habima. Eine hebräische Bühne in der Weimarer Republik. Paderborn:  Wilhelm Fink 2016. 50 Vgl. Koljasin, Theater, S.  710. 51 Vgl. ebd., S.  726; Julia Köstenberger:  Österreichisch-sowjetische Kulturbeziehun- gen:  Liste der wichtigsten Veranstaltungen/„Österreichische Gesellschaft zur För- derung der geistigen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der UdSSR“. In:  Moritz, Gegenwelten, S.  463. 52 Vgl. Koljasin, Theater, S.  726.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Titel
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Untertitel
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Autor
Primus-Heinz Kucher
Herausgeber
Rebecca Unterberger
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Abmessungen
14.8 x 21.0 cm
Seiten
466
Kategorie
Kunst und Kultur
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