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Deutungsmuster in Fülöp-Millers Reportage von 1926 167
die Sozialdemokratie hat das Buch günstig beurteilt.“53 Seine Einschätzung, mit
dem Werk schlicht auf ein Informationsbedürfnis reagiert zu haben, ist, wie
oben gezeigt wurde, wohl zutreffend.
Eine Gemeinsamkeit der zahlreichen Rezensionen, von denen im Folgenden
einige aus der Tages- und Fachpresse54 sowie eine briefliche Äußerung exempla-
risch betrachtet werden, ist die Hervorhebung der Abbildungen als ein Allein-
stellungsmerkmal des Werks. Obwohl die meisten Kritiker Geist und Gesicht
tendenziell positiv bewerten, werden in Bezug auf den Text jedoch auch Zwei-
fel an Fülöp-Millers Unvoreingenommenheit gehegt: „[In]wieweit […] Verall-
gemeinerungen schiefe Bilder ergeben […][,] kann ein Fernstehender kaum
beurteilen.“55 Der Eindruck von im Werk vermittelten ‚schiefen Bildern‘ korres-
pondiert ferner mit der Einschätzung Walter Benjamins, die er in einem Brief an
Siegfried Kracauer geäußert hat:
Zu Ihren marxistischen Studien empfehle ich Ihnen das große Reportagewerk „Geist
und Gesicht des Bolschewismus“, von dem Sie wissen werden. Wie unzuverlässig im
Einzelnen und voreingenommen im Ganzen es sein mag, so stellt es doch ein sehr rei-
ches und intelligent erfaßtes Material zusammen. Vor allem besitzt der Referent Sinn für
extreme, exzentrische Erscheinungen.56
Auf die von Fülöp-Miller vorgenommene Auswahl von sowjetischen Phäno-
menen geht auch Max Brod in seiner Rezension für das Prager Tageblatt ein,
der das Werk prinzipiell positiv bewertet. Brod wendet jedoch ein, dass ihm bei
den Ausführungen zur neueren russischen Musik, die ihm thematisch „einiger-
maßen zugänglich“ sei, aufgefallen sei, dass Fülöp-Miller sich mit besonderer
53 Rochus Kohlbach: „Ich glaube an die Gnade …“. Gespräch mit René Fülöp-Miller.
In: Reichspost (25.12.1929), S. 9.
54 Vgl. Hans Raschle:
Geist und Gesicht des Bolschewismus. In:
Schweizerische Monats-
hefte für Politik und Kultur, H.
1/1927–28, S.
52–54; F. Braun:
René Fülöp-Miller, Geist
und Gesicht des Bolschewismus. […]. In: Zeitschrift für Bücherfreunde, H. 2/1926,
Sp.
214–216; Paul Schrecker:
Geist und Gesicht des Bolschewismus. Darstellung und
Kritik des kulturellen Lebens in Sowjet-Rußland von René Fülöp-Miller. In:
Die Lite-
rarische Welt, H. 33/1926, S. 5; F. Giese: René Fülöp-Miller, Geist und Gesicht des
Bolschewismus […]. In:
Zeitschrift für angewandte Psychologie, H.
28/1927, S.
355f.;
G. Molden:
Geist und Gesicht des Bolschewismus. Ein Buch von René Fülöp-Miller
über das neue Rußland. In: Beilage der Neuen Freien Presse (18.7.1926), S. 21–23.
55 F. Giese:
René Fülöp-Miller, Geist und Gesicht des Bolschewismus […]. In:
Zeitschrift
für angewandte Psychologie, H. 28/1927, S.
355f., zit. S. 356.
56 Walter Benjamin an Siegfried Kracauer (16.11.1926). In:
Walter Benjamin:
Briefe an
Siegfried Kracauer. Marbach a. Neckar: Dt. Schillergesellschaft 1987 (= Marbacher
Schriften, Bd. 27), S. 34f.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur