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Gregors Sowjetreise und Das russische Theater 179
Die unmittelbare Nachkriegszeit Wiens war kein schlechter Boden für die
Theatermoderne; interessanterweise wurde sie zu einem maßgeblichen Teil von
Ausstellungen vermittelt. Dies mochte zwei Gründe haben: einerseits handfeste
finanzielle, andererseits eine mit der Internationalen Ausstellung für Musik- und
Theaterwesen des Jahres 1892 begründete spezifisch Wiener Ausstellungstradi-
tion. Ein Kristallisationspunkt hinsichtlich der Vermittlung der Theatermoderne
in Wien war zweifellos der Herbst des Jahres 1924. Damals veranstaltete die
Gemeinde Wien im Rahmen des Musik- und Theaterfestes 1924 im Konzert-
haus die Internationale Ausstellung neuer Theatertechnik: eine visionäre Ausstel-
lung, die kein Geringerer als Friedrich Kiesler gestaltete und an der sich auch
die Theatersammlung der Nationalbibliothek mit 38 Objekten beteiligte. Paral-
lel dazu lief in den Räumen der Albertina eine von Joseph Gregor zusammen-
gestellte, 546 Objekte umfassende Exposition unter dem Titel Ausstellung von
Neuerwerbungen, insbesondere auf dem Gebiete Moderner Theaterkunst. Auch
hier war die aktuelle Theatermoderne prominent vertreten. Neben Arbeiten des
Futuristen Enrico Prampolini wurden auch Werke der sowjetischen Avantgar-
distin Natal’ja Gončarova gezeigt, und zwar – wie das Plakat nicht uneitel ver-
merkt – aus ihrer eigenen Sammlung.6
Joseph Gregor versuchte also zu diesem Zeitpunkt, die Theatermoderne via
Ausstellungen zu vermitteln; ein spezifisches Interesse galt dabei der sowjeti-
schen (Theater-)Moderne, zu deren Vertretern bereits Kontakt bestand. Gast-
spiele russischer Bühnen wie jenes des Kammertheaters im April 1923 in Berlin
unter der Leitung Aleksandr Tairovs waren Gregor nicht entgangen.7 Sicherlich
hatte Gregor auch die internationale Diskussion um die Sowjetkunst rezipiert.
sowjetische Kunst und Kultur, aber auch seiner Mitgliedschaft in der „Vaterländischen
Front“ – von den Nazis als typischer „Konjunkturmensch“ eingestuft wurde; vgl.
Heiss, Gregor.
6 Vgl. http://www2.onb.ac.at/sammlungen/plakate/archiv/erwerb/objekt_dezem-
ber_2005.htm; zu Prampolini und Kiesler vgl. Arturo Larcati: Zur Rezeption des
italienischen Futurismus in Wien während der 1920er und 1930er Jahre. In:
Primus-
Heinz Kucher (Hg.): Verdrängte Moderne – vergessene Avantgarde. Diskurskons-
tellationen zwischen Literatur, Theater, Kunst und Musik in Österreich 1918–1938.
Göttingen: V& R unipress 2016, S. 95–115, bs. S.
100–106.
7 Vgl. Wladimir Koljasin:
Gastspiele russischer Theater in Berlin in den zwanziger und
dreißiger Jahren. Von Ost nach West, von Tairow zu Meyerhold. In: Irina Anton-
owa/Jörn Merkert (Hgg.): Berlin Mockba 1900–1950. München–New York: Prestel
31995, S. 172–177; Galina Makarowa: Das Moskauer und das Berliner Theater zu
Beginn des 20. Jahrhunderts. In: ebd., S.
43–45.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur