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Kurt
Ifkovits182
Tairov, Mejerchol’d und andere sowie den Theatralia-Sammler Alekseï Bachru-
chin. Im Zuge der Sichtung von Objekten für die Ausstellung rekrutierte Gregor
auch Material für die Theatersammlung der Nationalbibliothek und begründete
damit einen noch heute international bedeutenden Bestand.17 Außerdem war
Gregor von der Nationalbibliothek beauftragt worden, einen Bericht über die
Situation der Bibliotheken in der Sowjetunion zu verfassen und Möglichkeiten
des Büchertauschs zu sondieren.18 Und vor der Akademie der Kunstwissenschaf-
ten hielt er in Moskau einen bereits früher geplanten Vortrag über die Situation
der Theaterwissenschaft in Österreich und Deutschland, bei dem übrigens auch
Stanislavskij und Tairov anwesend waren.19 Dieser dürfte Gregor überhaupt die
Tore in die Sowjetunion geöffnet haben.
Spätestens zu dem Zeitpunkt, als sich Gregor in der Sowjetunion befand,
befassten sich offizielle Stellen Österreichs mit der geplanten Ausstellung. Am
5. März 192720 teilte das Unterrichts- dem Außenministerium mit, dass man
die projektierte Ausstellung aus künstlerischen und kunstwissenschaftlichen
Erwägungen außerordentlich beachtenswert fände, gab jedoch die politischen
Implikationen zu bedenken. Da die „neurussische Theaterkunst auf das Engste
mit der dortigen politischen Ideologie verknüpft“ sei, könnte das Projekt als
„unmittelbare politische Propaganda“ aufgefasst werden. Die notwendige Mit-
arbeit sowjetischer Kräfte würde der Ausstellung „automatisch propagandisti-
schen Charakter“ verleihen. Daher ersuchte man das Außenministerium um
ein Gutachten unter Berücksichtigung außenpolitischer und staatspolizeilicher
Gesichtspunkte.21 Das ebenfalls um ein Gutachten gebetene Außenamt ver-
suchte derartige Bedenken zu zerstreuen. Da das Material nur zu geringerem
Teil aus der Sowjetunion kommen werde, seien die „allfällig zu befürchtenden
propagandistischen Folgewirkungen auf ein Minimum einzuschränken“.22 Diese
Position des Außenamtes blieb die Ausnahme. Eine Note des Bundeskanzler-
amtes vom 31.
März
1927 teilte mit, dass die Polizeidirektion eine derartige Aus-
stellung als „Agitationsmittel“ einstufe, die „hiesige kommunistische Kreise“
17 Vgl. hierzu den Beitrag von Barbara Lesák.
18 Vgl. Joseph Gregor an den Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek
[Josef Bick], Bericht vom 15.6.1927, ÖNB, GD/AVA 1927:
Gregor berichtete über das
Buchwesen in der Sowjetunion und sondierte Möglichkeiten des Büchertausches.
19 Vgl. ebd.
20 Sämtliche Unterlagen: ÖSA AdR NPA 671.
21 Vgl. Bundesministerium für Unterricht an Bundeskanzleramt (Auswärtige Angele-
genheiten), 5. März 1927, ebd.
22 Bundeskanzleramt, Außenamt in Beantwortung Zuschrift vom 5. März, ebd.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur