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Kurt
Ifkovits192
5 Nachtrag: Joseph Gregors russische Reise nach 1945
Während Joseph Gregors Kontakte in die Sowjetunion 1927 von offizieller Seite
unerwünscht waren und eine Ausstellung über das sowjetische Theater unmöglich
war, gefährdeten diese Kontakte, vor allem aber das Buch über das russische Thea-
ter, ihn in der Zeit des Nationalsozialismus.45 Sogar nach 1945 sollten Gregors sei-
nerzeitige Reise in die Sowjetunion und das daraus resultierende Buch noch einmal
in Diskussion geraten – interessanterweise in konträrem Sinn: Standen sie einmal
als Beleg für Gregors Opportunismus, verhalfen sie ihm das andere Mal zu einer
Expertise hinsichtlich des russischen beziehungsweise sowjetischen Theaters.
Als Joseph Gregor im Jahr 1945 sein Ansuchen um die Habilitation an der
Universität Wien einreichte, erhob der Generalsekretär der Demokratischen
Vereinigung österreichischer Akademiker in einem Brief an den Dekan der
Philosophischen Fakultät Ende November des Jahres heftigen Einspruch. Sein
Argument: Gregor sei Opportunist, ein „Regenbogentyp“, der nicht auf die
Jugend losgelassen werden dürfe. Als Beweis wurden seine seinerzeitigen Reisen
in die Sowjetunion sowie in die USA angegeben:
Als 1918 der demokratische Umbruch kam und es unbequem wurde, schwarz-gelb
gewesen zu sein, trat Gregor zur Legitimation seines Farbenwechsels ins Rote eine
Reise nach Sowjetrussland an. Es war eine recht kurze Reise, noch dazu ohne russische
Sprachkenntnisse. Umso dicker war das grell rot eingebundene Buch über das russi-
sche Theater, das daraus unter Mithilfe eines Feuilletonisten hervorging. Fehler über
Fehler im historischen Teil paarten sich mit dick aufgetragenen Schmeicheleien für die
Sowjets, bei gänzlicher Verkennung ihrer wirklichen Leistungen. Konjunktur kann eben
wahrhafte Kenntnis sowenig ersetzen wie wahrhafte Zuneigung. […]
Da sich inzwischen die österreichische Politik mehr der Mitte zugewandt hatte, schien
es wünschenswert, nicht mehr rot, sondern liberal oder demokratisch in Erscheinung
zu treten. Also trat Gregor eine Reise nach Amerika an …46
Fast zur gleichen Zeit wurde Joseph Gregor für die Erstellung eines Konzeptes
für eine (Foyer-)Ausstellung mit dem Titel Russische Theaterkunst anlässlich der
Aufführung von Anatolij Lunačarskijs Der befreite Don Quichotte im Wiener
45 Gregor, so Gernot Heiss, reagierte mit „literarische[r] Anpassung und übereifrige[r]
Einordnung in das kulturelle Leben des Regimes“ (Heiss, Joseph Gregor, S.
780).
46 Dr. Ferber [Faber?], Generalsekretär Demokratische Vereinigung österreichischer
Akademiker an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien,
Dr. Czermak, 29. November 1945, Kopie im Nachlass Agnes Bleier-Brody, Theater-
museum Wien.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur