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Gastspiele sowjetischer Theatertruppen in Wien 199
Vogels stehende) Ableger wie Der Goldene Hahn, das Theater von Isaak Duvan-
Torcov oder das Russisch-Deutsche Grotesk-Theater, in denen dem deutschen
wie auch internationalen Publikum eine ganz neue Form des Kabaretts geboten
wurde. Sie alle sollten auf ihren Gastspielreisen auch in Wien Station machen
und in dieser theaterbesessenen Stadt Erfolge ernten.
Der bedeutendste und am meisten angestrebte Zielort für russische Emigran-
ten aller Stände und Berufsgruppen, allen voran Künstlerinnen und Künstlern,
blieb jedoch Paris. Hier hatte sich die berühmteste aller russischen Tanz- bezie-
hungsweise Balletttruppen, die Ballets Russes, unter der Leitung ihres Impresa-
rios Sergej Djagilev formiert. Schon bei der ersten von Djagilev veranstalteten,
sich ausschließlich auf Ballettabende konzentrierenden „Saison Russe“ 1909
in Paris, wo noch Stars des kaiserlichen Balletts von St. Petersburg in Stücken
auftraten, in denen sich Musik, Choreographie wie auch Ausstattung zu einem
modernen Gesamtkunstwerk verbanden, stellte sich ein Riesenerfolg ein. Dja-
gilev hatte die besondere Gabe, auch in seinem späteren Exilland Frankreich,
die dort heimische Künstler-Avantgarde wie Pablo Picasso, Jean Cocteau, Marie
Laurencin und André Dérain ebenso wie die russischen, im Pariser Exil lebenden
konstruktivistischen Bildhauer wie Naum Gabo (d.i. Naum Abramovič Pevzner)
und Antoine Pevsner (d.i. Anton Abramovič Pevzner) sowie die avantgardisti-
sche russische Malerin Natalija Gončarova für seine Idee zu gewinnen, moderne
Kunst auf das Bühnenbild zu transponieren. Dadurch gelang es ihm, die längst
fällige Aktualisierung des Bühnenraums durchzusetzen, die ungemein inspirie-
rend und erfrischend wirkte. Bereits in seiner St. Petersburger und Moskauer
Zeit (1899–1908) ließ er von Malern des Jugendstils wie Aleksandre Benois (d.i.
Aleksandr Benua), Léon Bakst und Mstislav Dobužinskij
– sie alle gehörten zum
Kreis der von ihm geleiteten Zeitschrift Mir Iskusstva
– die traditionelle, veraltet
wirkende Kulissenausstattung, wie sie in den kaiserlichen Theater- und Opern-
häusern von Moskau und St. Petersburg vorherrschte, gründlich entrümpeln.
Zudem bevorzugte er Ballett-Stücke zeitgenössischer russischer Komponisten
wie von Igor’ Stravinskij, dessen Le Sacre du Printemps – ein Meilenstein des
modernen Balletts – 1913 in Paris ein ungeheurer Skandal war; und auch im
Pariser Exil standen Ballett-Kompositionen von Zeitgenossen wie Henri Saug-
uet, Richard Strauss, Francis Poulenc oder Manuel de Falla am Programm, die in
den Choreographien von Vaslav Nijinski, Léonide Massine oder Georges Balan-
chine eine Ballett-Revolution sondergleichen in Europa und Amerika bewirkten.
in Berlin 1919–1931. München: Sagner 1990 (= Arbeiten und Texte zur Slawistik,
Bd. 49).
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur