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Jürgen
Doll230
3 Masseninszenierungen
Unmittelbarer kann der sowjetische Einfluss in den sozialdemokratischen
Massenspielen nachgewiesen werden. Unter diesen ist bis heute besonders das
sogenannte Olympiade-Festspiel, das anlässlich der Arbeiterolympiade 1931 im
neuen Wiener Praterstadion aufgeführt wurde, im Gedächtnis geblieben. Drei
Jahre früher aber hatten in Linz bereits spektakuläre Masseninszenierungen
stattgefunden. Besonders beeindruckend muss die zum 25-jährigen Jubiläum
des Linzer Arbeiterturnvereins nach einer Konzeption von Otto Stöber und in
der Regie von Eduard Macku aufgeführte revolutionäre Sonnwendfeier Flam-
men der Nacht gewesen sein, die am 24. Juni 1928 auf dem großen Sportplatz
vor 10.000 Zuschauern gespielt wurde. Wie das sozialdemokratische Linzer Tag-
blatt berichtet hat, ist dieses Schauspiel von den Massenszenen des Proletkults
inspiriert worden,41 möglicherweise von dem 1920 in Moskau aufgeführten, von
Keržencev beschriebenen Massenspiel Mysterium.42 Die mehreren hundert Mit-
wirkenden rekrutierten sich aus den Roten Falken, Turnerverbänden, Schutz-
bund und anderen sozialistischen Organisationen. Der Text ist nicht erhalten,
doch ist dies verschmerzbar, da das Schauspiel nach Aussage des Regisseurs auf
Pantomime und Gestik, visuelle und akustische Effekte hin konzipiert war.43 Auf
der Bühne sehen wir unten Fronarbeit leistende Schmiede, Weberinnen, Lastträ-
ger, Kulis, Winzer und Bergleute, während oben im Lichtkegel die Kapitalisten
und ihre Lakaien, Priester sowie Offiziere, ein Fest feiern und um den Moloch
Kapital tanzen. Den Kirchenglocken und der Tanzmusik oben antworten Ham-
mer- und Motorengeräusche, Sirenengeheul, Schüsse in der unteren Welt, die
in der Nacht versinkt. Die Arbeiter rebellieren, halten den Vorhaltungen des
Priesters stand und erobern die obere Welt, viele hundert Fackeln werden ent-
zündet, rote Fahnen geschwungen, die Marseillaise angestimmt: Die Arbeiter
haben den Tag errungen. Gemeinsam mit den Zuschauern schwören sie Treue
zur roten Fahne und singen das Lied der Arbeit, das den Abend beschließt. Den
gemeinsamen Akt des Schwörens entlehnte Stöber dem Pariser Föderationsfest
von 1790, wo er, woran auch Keržencev erinnerte, den Höhepunkt des Festes
gebildet hatte.44
Zum zehnten Jahrestag der Republikgründung am 12.
November
1928 wurde
in der Südbahnhofhalle in Linz eine wiederum von Otto Stöber und Eduard
41 Vgl. Z.: Flammen der Nacht. In: Tagblatt (28.6.1928), S. 7.
42 Vgl. Kerschenzew, Das schöpferische Theater, S. 202–205.
43 Vgl. Eduard Macku:
Flammen der Nacht. In: Tagblatt (23.6.1928), S. 11.
44 Vgl. Kerschenzew, Das schöpferische Theater, S. 131.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur