Seite - 231 - in Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
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Zur Rezeption des sowjetrussischen Theaters 231
Macku konzipierte multimediale Bilderfolge Vier Jahre Nacht (1914–1918) mit
500 Mitwirkenden aufgeführt. Der Handlungsbogen reicht von der Kriegserklä-
rung und der Kriegsbegeisterung jubelnder Massen über die sehr realistischen
Kriegsszenen, die Heimkehr zerschundener Soldaten und die Explosion einer
Munitionsfabrik im Hinterland bis zur Revolution und der Ausrufung der Repu-
blik. Macku setzte Licht- und Dunkeleffekte ein, Lautsprecher und Geräuschku-
lisse, künstliche und natürliche Feuer, Filmmaterial und Diapositive, verwendete
authentisches Text- und Bildmaterial sowie literarische Anleihen wie zum Bei-
spiel Gerrit Engelkes Lied der Kohlenhäuer und die Lazarettszene aus Ernst
Tollers Wandlung.45 Die 4000 Zuschauer sangen mit den Spielern am Ende die
Bundeshymne und das Lied der Arbeit. Nach dem Bericht des Tagblatts wurde
das Ziel, die Zuschauer einzubeziehen, „in prächtigen und wirkungsvollen Bil-
dern“ vollends erreicht.46 Wenn auch dieses Schauspiel nicht mehr in gleichem
Maße von sowjetischen Vorbildern beeinflusst war, so war es doch offenbar das
einzige sozialdemokratische Spiel, in dem, ähnlich den russischen Masseninsze-
nierungen, am Ende zusammen mit dem Publikum ein tatsächlich stattgefunde-
ner Sieg gefeiert werden konnte: der Sieg der Republik.
Ebenfalls dem sowjetischen Beispiel verpflichtet47 war Otto Stöbers Rote Sym-
phonie, bei der verschiedene Linzer Fabriks- und Schiffssirenen nach einem
genau festgelegten Zeitplan die Internationale erklingen lassen sollten.48
Das Wiener Olympiade-Festspiel im Juli 1931 bildete den Höhepunkt der mit
dem gesamten Repertoire proletarischer Festkultur
– politische Reden, Aufmär-
sche, Massengesang, Sprechchöre, Massenfreikörperübungen, Fanfaren, Fahnen-
paraden, Uniformierung – inszenierten Arbeiterolympiade selbst. Es erreichte
quantitativ sowjetische Dimensionen: In zwei Vorstellungen wirkten daran je
4000 Arbeiterturner und Jungsozialisten vor insgesamt rund 120.000 Zuschau-
ern mit.49 Die Konzeption stammte von Robert Ehrenzweig, die Inszenierung
45 Vgl. H.Br.: Vier Jahre Nacht. Eine Bilderfolge, erstellt von Otto Stöber und Eduard
Macku. In: Tagblatt (18.11.1928), S. 5.
46 N.N.: Republikfeier in der Südbahnhalle. In: Tagblatt (14.11.1928), S. 5f., zit. S. 6.
47 Vgl. Fülöp-Miller, Geist und Gesicht, S.
245f., Tafel 140 und 141; Richard Lorenz:
Pro-
letarische Kulturrevolution in Sowjetrussland (1917–1921). München:
dtv 1969, S.
13.
48 Vgl. Pia Janke:
Politische Massenspiele in Österreich zwischen 1918 und 1938. Wien–
Köln–Weimar: Böhlau 2010, S. 117.
49 Vgl. dazu: Pfoser, Literatur und Austromarxismus, S. 73–78; Béla Rásky: Arbeiter-
festtage. Die Fest- und Feierkultur der sozialdemokratischen Bewegung in der Ersten
Republik Österreich 1918–1934. Wien:
Europaverlag 1992, S.
100–118; Brigitte Zar-
zer:
Arbeitertheater in der österreichischen Sozialdemokratie (1918–1934). Diplom-
arbeit Univ. Wien 1993, S.
205–221; Janke, Politische Massenspiele, S.
114–142. Vgl.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur