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Marco
Hoffmann248
3 Zwischen Ost und West:
Rezeptionshaltungen in Maschinist
Hopkins
Dass Brand sich selbst als künstlerischen Interakteur mit der gegenwärtigen
Gesellschaft und ihren Problemen betrachtet hat, ist auch seiner Erfolgsoper
eingeschrieben. Die Welt, in der Maschinist Hopkins spielt, ist keine der Urauf-
führungszeit enthobene, reicht nicht – wie etwa in Richard Wagners Musik-
dramen – in vergangene beziehungsweise mythisch überlieferte Zeiten hinein,
sondern spiegelt völlig nüchtern die Lebensrealität der 1920er Jahre wider. Damit
lässt die Oper sich in den Trend der sogenannten „Zeitopern“ zur Zeit der Wei-
marer Republik einordnen, zu denen als prototypisch Ernst Kreneks Jonny spielt
auf, Kurt Weills Der Zar lässt sich photographieren oder George Antheils Transat-
lantic gezählt werden, in denen die aktuelle Gegenwart Schauplatz für das Büh-
nengeschehen ist. Passend zu dieser Einordnung beschrieb Ernst Krenek, der
maßgebliche Beiträge zum Genre der Zeitoper lieferte, Maschinist Hopkins als
„eine Kreuzung zwischen Jonny und den mechanistischen Orgien zeitgenössi-
scher sowjetischer Komponisten“.35
Das erste Setting, mit dem das Publikum vertraut gemacht wird, ist ein „Pro-
letarierviertel“,36 das inmitten enger und eintöniger Häuserfronten zwei für die
Oper zentrale Orte beherbergt:
zum einen die mit einer „schäbig beleuchtete[n]
Aufschrift“ ausgestattete „Bondy’s Bar“, zum anderen den „phantastische[n]
Riesenkasten einer Fabrik“ im Hintergrund der Szenerie.37 Schon Brands Wort-
wahl für die Beschreibung der Fabrik deutet an, dass diese alles andere als einen
sachlichen oder unsentimentalen Ort darstellt, und im Verlauf der Handlung
wird sie tatsächlich zu einem Zentrum irrationalen und emotionalen Erlebens
und damit zur transzendenten Gegenwelt der „Bondy’s Bar“. Wie sehr Brand
damit, ungeachtet aller für eine Zeitoper typischen Symptome, an eine Wag-
ner’sche Musiktheater-Konzeption anknüpft, kann an den beiden Bildern des
Vorspiels abgelesen werden. Vorgestellt werden drei zentrale Personen: der Pro-
letarier Bill, der zunächst die Interessen des Arbeitervolks vertritt, der Werk-
meister Jim, der dieses Volk dazu bewegen will, für mehr Lohn und Rechte zu
kämpfen, und dessen Frau Nell, die sich von Bill dazu überreden lässt, Jims Fab-
rikschlüssel herauszugeben, um die Firmengeheimnisse zu stehlen. Inmitten
35 Ernst Krenek:
Im Atem der Zeit. Erinnerungen an die Moderne. Hamburg:
Hoffmann
und Campe 1998, S. 697.
36 Vgl. Max Brand: Maschinist Hopkins. Wien: Universal-Edition 1929, S. 5. Im Fol-
genden als „Partitur“ zitiert.
37 Ebd.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur