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Marco
Hoffmann252
additives beschrieben werden und gewährleistet die im Orchestersatz anwach-
sende Dichte, die dramaturgisch ein immer obsessiver werdendes Taumeln der
tönenden Automaten ermöglicht.53 Semën Korev, zu Mosolovs Zeiten Musik-
beauftragter einer russischen Kulturbehörde, beschrieb die musikalische Stei-
gerung als Grenzüberschreitung der Bildhaftigkeit: Die Figuren würden nach
Sieg und Pathos klingen und, „ohne etwas von ihrer Illustrativität einzubü-
ßen, in einen mächtigen Hymnus an die Maschinenarbeit“ übergehen.54 Diese
Fasson der dramaturgischen Gestaltung kann auch bei Brand wiederentdeckt
werden. Die Maschinenmusik zu Beginn des zweiten Aktes gestaltet sich wie
eine Art Trance, in die die Arbeiter versinken; die Rhythmen stampfen erbar-
mungslos und werden in Parallelführung zum Chor in eine martialische Kli-
max überführt.55 Anders als bei Mosolov bleibt die rhythmische Gestalt bis
zum Schluss hindurch jedoch relativ homogen und die innere Struktur weist
nur wenige additive Elemente auf. Daher erscheinen Brands Maschinenrhyth-
men auch transparenter und greifbarer, was zudem der Tatsache geschuldet
sein mag, dass die szenische und textliche Verständlichkeit durch die Zusam-
menwirkung mit dem Chor erhalten werden muss. Mosolovs Zavod ist jeden-
falls von einer immer komplexer werdenden Polyrhythmik durchdrungen, die
im Maschinist Hopkins weniger extrem durchgeführt ist. Die Maschinenmusi-
ken in Brands Stück erscheinen gemäßigter und ‚westlicher‘ ausgearbeitet als
dies im entsprechenden russischen Beispiel, das die Schroff- und Rauheit der
futuristischen Strömung authentischer umsetzt, der Fall ist.
53 Mende weist in diesem Zusammenhang auf den Terminus „Polyostinati“ für „mehr-
schichtige Ostinatomodelle“ hin (vgl. ebd., S. 501 bzw. 503). Diese Technik kann
schon in zuvor kleiner besetzten kammermusikalischen Werken beobachtet werden,
etwa in seinem ersten Streichquartett op.
24 aus dem Jahr 1926, in dem sich ähnlich
additive und kleinzellige Prozesse überlappen.
54 Semën Korev, zit. bei: ebd., S. 520.
55 Vgl. Partitur, S. 34f.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur