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Marco
Hoffmann254
eine Donnermaschine, eine Windmaschine sowie ein Donnerblech mit Eisen-
kugeln vor.57 Die Verwendung von Donner- und Windmaschinen als Effektinst-
rumente stellt zunächst kein rein avantgardistisches Mittel dar. Windmaschinen
als Teil des Orchesters sind schon seit dem Barock, etwa in Georg Philipp Tele-
manns Don Quichotte, belegt und sowohl vor als auch während des Ersten Welt-
kriegs in den finalen spätromantischen Expansionen des Orchesters wieder en
vogue gewesen, was ihr Einsatz in Richard Strauss’ programmatischem Werk
Eine Alpensinfonie von 1915 beweist. Die Integration einer Sirene legt jedoch
durchaus eine Spur zum Geist der russischen Avantgarde, erinnert sie doch
nicht zuletzt an Avraamovs bereits genannte Dampfpfeifensinfonien. Der Einsatz
des entliehenen Insignes der proletarischen Klangwelt nimmt in der Oper aber
nie einen kompositorischen Eigenwert an. Vielmehr nutzt Brand die Sirene als
klangliche Requisite:
Am Ende der schon vorgestellten Maschinenhalle-Sequenz
zu Beginn des zweiten Aktes findet das von Brand explizit als „Fabriksirene“
ausgewiesene Instrument58 etwa Einsatz, um das Ende der Maschinenmusik zu
kennzeichnen, welches sich szenisch mit dem Anbrechen einer Mittagspause
verkündet. In der Partitur wird die Sirene genau dann eingesetzt, wenn die abso-
lute Klimax der maschinellen Rhythmen „mit größter Kraftentfaltung“59 erreicht
ist; die Sirene soll im dreifachen Forte das ganze Orchester übertönen60 und zieht
die Musik damit in den Bereich des Geräuschhaften. Nichtsdestotrotz dient das
Avantgardeornament, ähnlich wie die bereits beschriebene Maschinenmusik,
einer traditionell opernhaften Dramaturgie und wird eher als eines der „Acces-
soires der Neuen Sachlichkeit“61 in Dienst genommen.
Ein anderes von Brand eingesetztes Instrument hinwiederum lässt, ober-
flächlich betrachtet, zunächst an den eingangs besprochenen Sieg über die Sonne
denken: Auf der Bühne schreibt er für den dritten Akt ein verstimmtes (elektri-
sches) Pianino vor.62 Im suprematistischen Werk diente die Verstimmung eines
Klaviers vornehmlich dazu, klangliche Konventionen provokativ zu brechen,
und somit als Klangmittel angestrebter Avanciertheit. Bei Brand wird das ver-
stimmte Klavier jedoch in einen ganz anderen Zusammenhang gebracht: Es
57 Vgl. Partitur, S. 4.
58 Vgl. ebd., S. 35: „Plötzlich ertönt die Fabriksirene …“
59 Ebd., S.
34.
60 Ebd., S.
35.
61 Vgl. Eckhard John:
Jonny und Jazz:
Die Rolle des schwarzen Musikers auf der Bühne
der zwanziger Jahre. In:
Nils Grosch (Hg.):
Aspekte des modernen Musiktheaters in
der Weimarer Republik. Waxmann: Münster 2004, S. 101–118, hier S. 107.
62 Vgl. Partitur Akt 1/Vorspiel, S. 4.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur