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Brands Oper Maschinist Hopkins und die Avantgarde 257
Insignien von Motorik verwendet. In gleicher Art und Weise werden auch die
szenisch eingebrachten Menschen von der Musik betört. Am Ende der Show-
szene im ersten Akt geben die von der abklingenden Jazzmusik berauschten
Gäste des Etablissements als Chor „ah“- und „m“-Laute von sich. Gleicherma-
ßen hypnotisch verwickelt erscheint die Menge am schon besprochenen Beginn
des zweiten Aktes, diesmal von ihrer Arbeit. Inmitten ihres „Arbeiterliedes“ feu-
ert der Chor die Maschinen zu Höchstleistungen an mit den Worten: „Immer
schneller tanzt der Zeiger, wie ein toller, wilder Geiger!“ Für die Hörerschaft, der
die Klänge der virtuosen Solovioline des ersten Aktes noch in Erinnerung sind,
bildet diese Passage deutlich eine Untrennbarkeit beider Sphären, die der Arbeit
und die der Unterhaltung, ab. Die halluzinogenen Verschmelzungen nehmen
auch an anderen Schlüsselstellen Gestalt an: Der geisterhafte Chor der „ruhen-
den Maschinen“ zu Beginn des ersten Aktes zeigt durch fehlende Sänger auf der
Bühne Parallelen zum späteren Liebesduett zwischen Bill und Nell. „Wie aus
weiter Ferne“72 rufen die mythischen Stimmen ein verzerrtes Erinnerungsbild
an die Urszene hervor: Die Maschinen bleiben auf diesem Wege immerzu prä-
sent. Ähnliches geschieht, als im zweiten Akt szenisch von Nells Garderobe zum
Theater überblendet wird.73 Das hier von Brand verwendete musikalische Idiom
gleicht auf frappierende Art den Aktionen in der Fabrik und lässt somit das
Theater zu einer imaginierten, abstrakten Maschinenhalle werden
– als Vorweg-
nahme der später unter anderem von Adorno diagnostizierten Kulturindustrie
als einer Art Produktionsbetrieb. Am Ende der Oper schließlich beginnt selbst
die Maschinenhalle ein neues Gesicht zu zeigen: Vermittels szenischer Insze-
nierung wird der Ort der Arbeit zum Ort der Spiritualität, die Fabrik zu einem
Tempel transformiert. Die aus gleißendem Licht einmarschierenden Arbeiter-
gruppen erinnern nicht zufällig an den Schluss von Wagners Ring-Tetralogie,
in dem ebenfalls „Männer und Frauen“ in den Flammen zugrunde gegangener
Macht den Beginn einer neuen Welt verkünden.74
4 Fazit
Die kulturellen Rezeptionshaltungen in Brands Maschinist Hopkins erwachsen
bei näherer Betrachtung zu so großer Vielfalt, dass sich eine saubere Abgrenzung
und Kategorisierung schwierig, gar unmöglich gestaltet. Die verschiedenen,
72 Vgl. Partitur, S. 245.
73 Ebd., S.
91ff.: „Plötzlich fröhliche Bewegung“.
74 Vgl. Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen (Libretto). Stuttgart: Reclam 2009,
S. 429.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur