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Marco
Hoffmann258
sich kontrastierenden Schichten unterschiedlicher musikalischer Provenienz –
Tonalität, Zwölftontechnik, instrumentalisierte Musique concrète, Jazz- und
Unterhaltungsfloskeln – treten nicht bloß gesondert voneinander auf, sondern
vermischen sich mitunter. Nicht von ungefähr charakterisierte der Kritiker
Alfred Einstein etwa die Schlussmusik des ersten Aktes, eine leidenschaftliche
Liebesszene zwischen Bill und Nell, als „tristanisierende Zwölftonmusik“,75 um
damit die dur/moll-tonale Anlage der zugrunde liegenden Reihe zu beschrei-
ben. Doch nicht nur mit diesem Teil des Werkes wurzelt die Oper musikalisch
wie thematisch im Geist des 19. Jahrhunderts. Auch typische Themenkomplexe
legen die ‚Nabelschnur‘ von Brands Werk zur Musiktheatertradition des vori-
gen Jahrhunderts offen, darunter die wagnerianische Dramaturgie inklusive
Urszene, die zu „Gottheiten“ überhöhten Maschinen, deren Rache an ihren Ver-
rätern
– in diesem Fall an Bill
– sich am Ende verwirklicht,76 und das Erlösungs-
motiv, das sich in der Figur Hopkins’ kristallisiert, der einem Priester gleich die
Arbeiterschaft als ‚sein‘ Volk in die ersehnte Zukunft führt. Man könnte sagen,
dass Maschinist Hopkins durch diese Traditionsverortung auch ein ‚typisch
österreichisches‘ Werk ist.77
Während ‚das Österreichische‘ in Brands Oper somit relativ leicht zu skiz-
zieren scheint, kann auf die Frage nach dem Russischen ungleich schwerer
und mit geringerer Exaktheit Antwort gegeben werden. Die Implementierung
futuristischer Prämissen ins musikalische Geschehen lässt sich an den Maschi-
nenmusiken, die im Prolog, zu Beginn des zweiten Aktes sowie am Ende der
Oper zu finden sind, am besten ablesen. Gleichzeitig sind sie allein kein Beleg
für eine dezidiert russische resp. russisch orientierte Ästhetik, denn das Sujet
der Maschine spielt Mitte der 1920er Jahre eine kulturübergreifende Rolle: Das
Ballet mécanique des US-amerikanischen Komponisten George Antheil ist zum
Beispiel im selben Jahr wie Mosolovs Zavod entstanden. Obwohl sich zu Zavod
Berührungspunkte in Brands sinfonischer Umsetzung weitaus deutlicher zeigen,
treten Einflüsse von Antheil gleichfalls klar zutage.78
75 Zit. bei: Thomas Brezinka: Max Brand (1896–1980). Leben und Werk. München-
Salzburg: Musikverlag Emil Katzbichler 1995 (= Musikwissenschaftliche Schriften,
Bd. 26), S. 30.
76 Vgl. Heinemann, Mythische Maschinen, S. 71.
77 Nicht zuletzt leitete sich auch die Brand beeinflussende Zweite Wiener Schule maß-
geblich aus Bezügen auf die Musikgeschichte ab.
78 In der Gartenhausszene des ersten Akts vertont Brand für den Gesang der Schwarzen
u.a. einen Text Antheils.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur