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Olesya
Bobrik264
Die Gesamtanzahl der je Titel angekauften Noten variierte in Abhängig-
keit vom Werkgenre: für Klavierminiaturen gewöhnlich von 222 bis zu einigen
hundert Exemplaren, für Sinfonie-Partituren und -Sätze zwischen fünf und
fünfzehn, manchmal bis zu dreißig Exemplaren. War das Werk besonders
erfolgreich, wurden Exemplare in einer Anzahl von bis zu mehreren Tausend
angefragt. Außerordentlich begehrt waren beispielsweise das Präludium in
cis-moll op. 3 Nr. 2 von Rachmaninov, bei Rossijskoe muzykal’noe izdatel’stvo
(Editions Russes de Musique) zwischen 1925 und 1942 in einer Stückzahl von
5136 Exemplaren, und die Autorenbearbeitung für Klavier des Marsches aus
der Oper Ljubov’ k trёm apel’sinam (dt. Die Liebe zu den drei Orangen) von
Prokof’ev, bei ebendiesem Verlag für die Jahre 1925 bis 1940 in einer Stückzahl
von 1606 Exemplaren angekauft. Dauerhaften und großen Erfolg hatten die
Werke der romantischen Komponisten Pёtr Čajkovskij und Aleksandr Boro-
din: Ihre Werke erreichten bei der UE nicht selten eine Auflage von mehr als
tausend Exemplaren.
Über die Gründe für das gesteigerte Interesse an russischer Musik ab Mitte
der 1920er Jahre können lediglich Hypothesen aufgestellt werden. Eine wich-
tige Rolle spielten hier vermutlich politische Gegebenheiten. Im Februar 1924
hatte die österreichische Regierung als eine der ersten unter den europäi-
schen Ländern diplomatische Beziehungen mit der UdSSR hergestellt, was zu
einer merklichen Wiederbelebung des kulturellen Austausches zwischen den
beiden Ländern führte. In den ersten Jahren der Existenz der Bevollmäch-
tigten Gesandtschaft (Polpredstva)3 ging jedes mit Sowjetrussland in Ver-
bindung stehende Ereignis in Wien mit finanzieller und organisatorischer
Unterstützung auf höchstem Niveau einher: unter Teilnahme von Mitglie-
dern des sowjetischen Diplomatischen Corps und im Gegenzug mit entspre-
chender Beteiligung durch österreichische Beamte. Als Organisatoren traten
dabei der Volkskommissar Anatolij Lunačarskij, die Vorsitzende der Unions-
gesellschaft für kulturelle Beziehungen mit dem Ausland Ol’ga Kameneva –
Schwester Lev Trozkijs und Ehefrau Lev Kamenevs4 –, die bevollmächtigten
2 Aus bis dato unerklärlichen Gründen belief sich die Anzahl der von der UE ange-
kauften Exemplare eines Titels oftmals auf ein Vielfaches von 11 (22, 33, 44, usw.).
3 Abkürzung gemäß der zu jener Zeit im sowjetischen Alltag gängigen Kurzform.
4 Ol’ga Kameneva (1883–1941) war zwischen 1925 und 1929 Vorsitzende der VOKS.
Nach dem Prozess ihres Ehemanns, des berühmten Revolutionärs, Politikers und
Mitstreiters Lenins Lev Kamenev, wurde sie 1936 gemeinsam mit ihren beiden
Kindern verhaftet. Die Kinder wurden 1938 und 1939 ermordet, sie selbst im
Jahr 1941.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur