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Olesya
Bobrik276
erwähnte deutsche Verlag R.
Forberg, bei dem die UE seit 1924 diverse russische
Noten gekauft hatte. Offenbar kam das Geschäft aus diesem Grund dann nicht
zustande. Ein weiterer Grund für das Scheitern könnte die fragwürdige Repu-
tation des sowjetischen Verlags in Europa gewesen sein: Seine Rechte an den
Jurgenson’schen Ausgaben galten im Ausland als nichtig.
Fehlendes Vertrauen war auch für die Realisierung anderer, für die Wiener
UE verlockender Projekte ein Hemmschuh. Bekanntlich begann man Mitte der
1920er Jahre in der UdSSR die Werke Skrjabins und Musorgskijs herauszugeben.
Der Korrespondenz Dzimitrovskijs mit Moskau nach zu urteilen, bot Muzsek-
tor der UE Bände dieser Ausgaben zum Kauf an. Doch die damit verknüpften
Perspektiven erschienen dem Wiener Verlag als zweifelhaft:
„Skrjabin kann man
nicht nehmen, weil er sofort konfisziert wird, da fast alle seine Werke nachge-
druckt sind. Höchstwahrscheinlich kaufen wir Skrjabin aber für Amerika (dort
geht es), weil die Auflage gut ist.“36 Einzelne Bände von Klavierstücken Skrjabins
wurden tatsächlich gekauft; später wurde dies behutsam und offensichtlich ohne
besondere Probleme fortgeführt.
Mit Musorgskij war es anders. Den Wiener Verlag interessierten vor allem
die Originalpartitur und der Klavierauszug zu Boris Godunov in der Fassung
von P.A. Lamm.37 Doch nicht einmal nach deren Drucklegung im Jahr 1928
konnte sie aufgrund von Einsprüchen des ersten Verlegers der Oper, der Firma
Bessel, in den UE-Katalog aufgenommen werden. Andere Ankäufe von Noten
Musorgskijs riefen dagegen keinerlei Proteste hervor, so zum Beispiel Lieder-
hefte des Komponisten, die erstmals von Muzsektor verlegt worden waren. In
einem Brief an Mjaskovskij vom 14. Oktober 1926 berichtet Dzimitrovskij über
den Erhalt von Musorgskijs Gesangsstück Ach, typ’janajateterja (dt. Du betrun-
kener alter Birkenhahn):
Ich erhielt den „betrunkenen Birkenhahn“38 (aus der Romanze Pachomyč von Musorgs-
kij, sehr interessant [sic]. Man kann eine große Verbreitung in Europa und Amerika
erreichen, aber ich fürchte, dass nachgedruckt wird, deswegen wäre es besser, wenn
Muzsektor auf den Umschlag setzen würde, dass die Univ[ersal] Edit[ion] für alle
Länder (außer die UdSSR) die Vertretung hat oder aber, dass die Univ[ersal] Edit[ion]
36 24.
Juli
1925 (VMOMK, nach Michail Glinka. Bestand 3.
Nr.
1046. Blatt 1 (Umschlag)).
37 Vgl. Briefe Dzimitrovskijs an Deržanovskij vom 27.–28. Februar und 24. März
1925
(VMOMK, nach Michail Glinka. Bestand 3. Nr. 1028, 1033).
38 Dieses Lied Musorgskijs wurde erstmals 1926 gedruckt (Muzsektor Gosizdata, post-
hume Ausgabe redigiert von A.N. Rimskij-Korsakov). Die eigenwillige Schreibung des
Beginns des zitierten Ausschnitts („ja, ‚p’janajateterja‘ “
– mit einem Kleinbuchstaben)
gibt seinem Klang einen leicht (und ungewollt?) komischen Effekt.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur