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Omasta und
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Ėjzenštejns Panzerkreuzer Potemkin aus dem Jahr 1925 ist ein unverrückbarer Mei-
lenstein der Filmgeschichte, der revolutionäre Film schlechthin. Das ganze Werk ist
von der Montage der Einzelbilder her gedacht. Seine Gestaltung zielt nicht auf den
Fluss der Erzählung und unsichtbaren Schnitt ab, wie im klassischen Hollywood-
Kino, sondern auf die Wirkung der Montage, die nach rhythmischen Prinzipien,
auf Kontrast, Konflikt, Steigerung oder Verlangsamung hin dynamisiert wird. Nicht
zufällig prägte Walter Benjamin das Wort vom „Dynamit der Zehntelsekunden“.4
Um die Jahrtausendwende sind im Technischen Museum Wien überraschend
Nadeltonschallplatten gefunden worden, die Edmund Meisel, der Komponist
des Original-Scores, 1930 für die Re-Release-Version des Potemkin mit Ton
aufgenommen hat, und zwar komplett mit Originalmusik, Klangeffekten und
Dialogen.5 Diese seit 2015 dank eines Forschungsprojekts des Österreichischen
Filmmuseums6 wieder zugängliche „Wiener Tonfassung“ erlaubt eine neue Sicht
auf den Film und seine Rezeption in der zeitgenössischen österreichischen Film-
kritik.
1 Der Stolz der sowjetischen Kinematografie
Geschildert wird der Aufstand der Matrosen auf dem Panzerkreuzer „Fürst
Potemkin von Taurien“ am 14. und 15.
Juni
1905. Höhepunkt ist die sechs Minu-
ten lange Sequenz des Massakers auf der Hafentreppe von Odessa. In feierlichem
Gedenken wurde zwanzig Jahre später von der Jubiläumskommission unter dem
Vorsitz von Anatolij Lunačarskij der staatliche Auftrag erteilt, einen Film zu fer-
tigen, der an diese historischen Ereignisse erinnern sollte.
Wie Ėjzenštejn später schreibt,7 ist der Film gleich einer Tragödie gebaut, in
fünf Akten:
4 Walter Benjamin: Erwiderung an Oscar A.H. Schmitz. Eine Diskussion über rus-
sische Filmkunst und kollektivistische Kunst überhaupt. In: Die literarische Welt
(11.3.1927), S. 7f.
5 Ausführlich zur Geschichte dieser Wiederentdeckung vgl. Martin Reinhart/Thomas
Tode (Hgg.): Potemkin – Meisel. Edmund Meisel und die „Wiener Fassung“ des
Panzerkreuzer Potemkin von Sergej M. Eisenstein. Maske und Kothurn. Wien–
Köln–Weimar: Böhlau 2015 (= Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und
Medienwissenschaft, H. 1/2015).
6 Vgl. Filmmuseum München/Österreichisches Filmmuseum (Hgg.):
Sergej M. Eisen-
stein/Edmund Meisel:
Panzerkreuzer Potemkin & Oktjabr’. DVD, veröff. 2015 (= Edi-
tion Filmmuseum 82).
7 Sergej M. Eisenstein: Über den Bau der Dinge. In: Iskusstwo kino, Nr. 6/1939 [dt.
Fassung: ders.: Ausgewählte Aufsätze. Berlin: Henschel 1960, S. 193].
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur