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Vom stummen Panzerkreuzer zum tönenden Potemkin 295
das sowjetische Kino produziert bis Mitte der dreißiger Jahre weiterhin auch
Stummfilme. Man versucht den westlichen Konzernen ein eigenes Tonsystem
entgegenzustellen – und das nicht nur aus politischen, sondern auch aus prag-
matischen Gründen, um die teuren Lizenzgebühren zu umgehen.
Neben all den Möglichkeiten, die das neue Medium des tönenden Films
eröffnet, kommt es zu einer immensen Verteuerung der Herstellungskosten, die
sich insbesondere auf den Avantgardefilm negativ auswirkt und die Produktion
extrem erschwert. Die kreativen Antworten der Filmindustrie sind vielfältig.
Sie reichen von Mehrsprachenversionen, also Filmen, die gleichzeitig etwa in
Englisch-Deutsch-Französisch hergestellt werden,18 über das Synchronisieren –
bekannte frühe Beispiele sind Gold Diggers of Broadway unter dem Titel Vorhang
auf! (USA 1929, Synchronregie: Kurt Neumann) oder The Great Gabbo als Der
große Gabbo (USA 1929, Synchronregie: Felix Basch) – bis zur Nachvertonung
berühmter Werke des Stummfilms, so geschehen im Fall von Rupert Julians The
Phantom of the Opera (USA 1925/30), F. W. Murnaus Nosferatu (D 1922), der
1930 als Die zwölfte Stunde mit zusätzlich gedrehten Szenen wieder herausge-
bracht wird, oder eben die Tonversion von Panzerkreuzer Potemkin.
Die Vertonung dieses berühmten Stummfilms ist der letzte Versuch der
Firma Prometheus, auch weiterhin im Geschäft zu bleiben.19 Denn in diesem
Jahr, 1930, produziert die Prometheus keinen einzigen Spielfilm mehr, lediglich
ein halbes Dutzend kurzer Dokumentationen, die zudem zum Teil aus bereits
existierendem Material kompiliert werden. Auch der Nachschub an Filmen aus
der Sowjetunion stockt. So entschließt sich der Verleih, den Potemkin in einer
deutschsprachigen Fassung neuerlich herauszubringen, und zwar als „Talkie“
mit synchronisiertem Ton, aufgezeichnet auf Nadelton-Schallplatten. Dafür wer-
den die ursprünglichen 137 Zwischentitel entfernt, die Sprechszenen dialogisiert
sowie kleinere Umstellungen vorgenommen.
Der britische Journalist und Filmemacher Oswell Blakestone vom renom-
mierten Avantgardemagazin Close-Up berichtet von der Arbeit an der Synchron-
Fassung:
18 Mangels eines zufriedenstellenden Synchronisationsverfahrens wurden Spielfilme
zu dieser Zeit sowohl in Hollywood als auch in Europa bei gleicher Handlung, Kos-
tümierung und Kulisse Einstellung für Einstellung mit verschiedensprachigen Dar-
stellerteams produziert.
19 Die Prometheus meldet Ende 1931 Konkurs an. Ihre letzte Produktion – Kuhle
Wampe (D 1932, Regie: Slatan Dudow, Drehbuch: Bert Brecht u.a.) – wird von der
Schweizer Praesens-Film fertiggestellt.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur