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Evelyne
Polt-Heinzl308
3 Die Anfänge
Geboren wird Otto Rudolf Schatz am 18. Jänner 1900 in Wien als Sohn einer
Postbeamtenfamilie. Er besucht die Kunstgewerbeschule unter anderem bei
Oskar Strnad. Schon hier dürfte der eigenwillige und unangepasste junge Künst-
ler entscheidende Prägungen erhalten haben, denn Strnad pflegte seine Stu-
dentInnen – er war der erste, der Frauen in seinen Klassen zuließ – gern zum
Lokalaugenschein in die Vorstädte zu schicken.
1920 präsentiert der Kunsthändler Max Hevesi in der Eröffnungsausstellung
seines graphischen Kunstsalons in der Mariahilferstraße 13 erstmals Arbeiten
von Schatz, zusammen mit Erich Lamm, Bela Uitz und Lilly Steiner, die schon
1908 beim Hagenbund zu Gast war. 1921 zeigt Hevesi Schatz’ im selben Jahr
entstandenen Zyklus Apokalypse, der „bei Künstlern, Kunstfreunden und Kunst-
kritikern großes Aufsehen“24 erregte. Über die schwierige Zusammenarbeit mit
Max Hevesi gibt ein Tagebuch von Schatz aus den Jahren 1921/22 Auskunft, das
sich unter dem irreführenden Titel Philosophische Kurzbetrachtungen im Nach-
lass des Prager Journalisten und Schriftstellers Johann Nack-Meyroser von Mey-
berg (Pseudonym Hans Regina Nack) erhalten hat.
Die beiden teilweise mit Tinte, teilweise mit Bleistift geschriebenen Hefte
enthalten Tagebuchaufzeichnungen, auch wenn sich poetische Formulierungen
finden wie: „Ich werde wieder um eine Baumblüte älter sein. Es wäre schön,
die Menschen nach Baumblüten zu messen.“25 Oder: „Wahrlich es sind auf dem
Erdenrund kurz die Tage der Rosen“.26 Diese Trouvaillen stehen in enger Verbin-
dung mit Schatz’ Liebe zur Natur und seiner Leidenschaft für die Berge. „Heute
ist der Tag an dem ich das letzte Bild der Johannes Offenbarung arbeite x […]
+ Morgen soll Feierabend sein + Morgen will ich unter Bäumen sein + + will
abends im Mondschein sitzen + + Abendruh rundum“,27 heißt es in der eigenwil-
ligen Notierung dieser Hefte, die oft auch eine eigenwillige Orthographie (etwa
„Schnabbs“ für ‚Schnaps‘, „wiefiel“ für ‚wieviel‘) und mit der Vermengung von
Graphemen der Kurrent- und Lateinschrift ein ebenso eigenwilliges Schriftbild
aufweisen.
24 Arthur Roessler: Einiges von und über Otto Rudolf Schatz. In: Österreichische
Monatshefte, H. 16/1930, S. 62–75, zit. S. 71.
25 Otto Rudolf Schatz:
Philosophische Kurzbetrachtungen 1921/1922. Heft
1, 72 Bl. eh.
Wien-Bibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, IQH0161956, Bl. 3.
26 Ebd., Bl. 20v.
27 Ebd., Bl. 21.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Titel
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Untertitel
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Autor
- Primus-Heinz Kucher
- Herausgeber
- Rebecca Unterberger
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 466
- Kategorie
- Kunst und Kultur