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Wissenschaft, Industrie und Kunst 133
so bedeutet uns Eitelberger, nimmt Goethe in sich auf, sogar das unvereinbar Schei-
nende, und versöhnt es in sich. Doch scheitert der Versuch, Goethe als eine Art idea-
les Selbstbild zu feiern, in dem die »Fülle des Lebens« gleichsam verkörpert wäre. Zu
vieles muss Eitelberger ihm nachsehen : seinen »angeborenen Doctrinarismus«, seinen
Hang zur »Tendenzkunst«,73 welcher der provinziellen Enge Weimars geschuldet sei,
selbst seine Anerkennung für Winckelmann, die einem »heidnischen Zuge«74 in der
Persönlichkeit Goethes geschuldet sei. Emphatisch teilt er, unvermittelt zu seinen üb-
rigen Kunstauffassungen, die Gotikbegeisterung des jungen Goethe beim Anblick des
Straßburger Münsters, verliert aber kein Wort darüber, dass jener sich in seiner Italie-
nischen Reise hiervon distanzierte ; auch Karl Philipp Moritz, unter dessen Einfluss dies
geschah, bleibt völlig unerwähnt. Es gibt Dinge, die Eitelberger wichtiger sind als die
Kunst : »und heute schaut das Strassburger Münster von deutschem Boden wieder in ein
deutsches Reich.«75
Vielleicht am bemerkenswertesten sind zwei Arbeiten aus dem Jahr 1878 über die
Architekten Heinrich Ferstel und Friedrich Schmidt.76 Ersterer hatte die neugotische
Votivkirche sowie das Österreichische Museum für Kunst und Industrie im Stil der italieni-
schen Renaissance, letzterer die Um- und partiellen Neubauten der Wiener National-
bank im Stil der deutschen Renaissance entworfen, sein neugotischer Rathausbau war
gerade im Gange. Eitelberger betont zu dieser Zeit zunehmend, nur noch graduelle
Unterschiede zwischen Kunst und Kunsthandwerk anzuerkennen und nähert sich den
Vorstellungen Sempers über die Integration aller Künste in die Architektur an. Auf-
fällig ist nun, dass er in seinen Beschreibungen der Arbeiten dieser beiden Architekten
keine ausführliche eigenständige Kommentierung des Phänomens leistet, dass sie je-
weilig zwischen gotischen und Baustilen der Renaissance wechseln. Die eine, in ihrem
Kern unwandelbare Kunst braucht gewissermaßen gar nicht mehr den sich wandelnden
geschichtlichen Moment, um ihre Stilvielfalt zu erzeugen. Vermittelt über die Kunst-
geschichte steht ihre gesamte Formensprache zur Verfügung und kann der jeweiligen
Aufgabenstellung eingefügt werden, entsprechend der Bauaufgabe, dem Baumaterial
usw.; der Historismus des Kunsthistorikers bestätigt den Historismus der Architektur.
73 R. Eitelberger von Edelberg, Goethe als Kunstschriftsteller, in : ders., Gesammelte kunsthis-
torische Schriften, III (zit. Anm.
57), S.
221–261, hier S.
240.
74 Ebenda, S. 248. Jenen Erzfeind und seinen »Hang zu akademisch-antikisierenden leeren Formen«
geißelt Eitelberger zwei Seiten später ohne erkennbaren Zusammenhang erneut.
75 Ebenda, S.
229.
76 R. Eitelberger von Edelberg, Heinrich Ferstel und die Votivkirche, in : ders., Gesammelte
kunsthistorische Schriften, I (zit. Anm. 38), S. 271–349 und ders., Friedrich Schmidt. Biographi-
sche Skizze, ebenda, S.
380–426.
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Titel
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Untertitel
- Netzwerker der Kunstwelt
- Autoren
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 562
- Kategorie
- Biographien