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140 Georg Vasold
Auf die Frage, woher dieses spezifische Interesse stammt, lassen sich mehrere Antwor-
ten finden. Zunächst ist daran zu erinnern, dass im Umfeld der Wiener Kunsthistoriker
zahlreiche Personen wirkten, die sich mit z. T. hohem theoretischem Anspruch eben-
diesen Phänomenen widmeten und dabei Begriffe gebrauchten, welche die genannten
Problemstellungen exakt bezeichneten. Karl von Czoernigs Ausführungen zur »Völker-
mischung« und zur »Entwirrung der kaum festzuhaltenden Uebergänge« ist hier ebenso
anzuführen wie Max Büdingers Überlegungen zur »Kulturübertragung« oder Emanuel
Löwys Gedanken zur »Typenwanderung«14. Als weiteren Grund gilt es festzuhalten, dass
die multiethnische, multikulturelle und multisprachliche Donaumonarchie aufgrund ihrer
geopolitischen Lage traditionell als eine Art Vermittler zwischen Ost und West beschrie-
ben wurde. Hugo von Hofmannsthals Bonmot von Wien als der »porta orientis für Euro-
pa«15 legt davon ebenso Zeugnis ab wie Karl Emil Franzos’ Charakterisierung der öst-
lichen Donaumonarchie als »Halb-Asien«16. Weiterhin ist daran zu erinnern
– und dieser
Aspekt war für die Wiener Kunstforscher gewiss noch relevanter
–, dass die von 1869 bis
1871 durchgeführte K.-u.-k.-Ostasienexpedition, die Wiener Weltausstellung von 1873
(die einen klaren Fokus auf Asien hatte und maßgeblich den europäischen Japonismus
beförderte17) und nicht zuletzt die Okkupation Bosniens durch Österreich im Jahr 1878
eine allgemein gesteigerte Wahrnehmung des Ostens bewirkte. Diese Wahrnehmung war
freilich überaus komplex, sehr oft widersprüchlich und in ihrer Wertung schwankend. Die
rezente Forschung zum österreichischen Orientalismus hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass die Bandbreite der Beschäftigung mit dem Osten in der Donaumonarchie beträcht-
lich war. Sie oszillierte zwischen kolonialem Begehren und unkritischer Turkophilie, schuf
14 K. Freiherr von Czoernig, Ethnographie der österreichischen Monarchie, Wien 1857, S. VII ;
M. Büdinger, Von dem Bewusstsein der Kulturübertragung, Zürich 1864 ; E. Löwy, Typenwande-
rung, in : Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien, 12, 1909, S.
243–304,
und 14, 1911, S. 1–34. Es ist wohl kein Zufall, dass all diese Begriffe in unmittelbarer Nähe von
und z. T. in direktem Austausch mit den Wiener Kunstforschern geprägt oder verwendet wurden.
Czoernig war ein enger Mitarbeiter von Eitelberger, Büdinger der Lehrer Riegls, und die Schriften
von Löwy bildeten v. a. für die jüngeren Wiener Kunsthistoriker, namentlich für die Generation von
Ernst Gombrich, einen zentralen Referenzpunkt.
15 H. von Hofmannsthal, Wiener Brief [II], in : ders., Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze
II
1914–1924, Frankfurt am Main 1979, S.
195.
16 K.
E. Franzos, Aus Halb-Asien. Culturbilder aus Galizien, der Bukowina, Südrußland und Rumä-
nien, Leipzig 1876.
17 Vgl. immer noch grundlegend : P. Pantzer, Verborgene Impressionen (Ausst.-Kat. Wien, Öster-
reichisches Museum für Angewandte Kunst), Wien 1990, sowie rezenter : C. Delank, Die Welt-
ausstellungen in Paris, Wien und Chicago sowie das neue Printmedium der Fotografie als Vermittler
japanischer Kunst und Kultur im Westen, in : Kunst und Kunsthandwerk Japans im interkulturellen
Dialog (1850–1915) (hg. von F. Ehmke), München 2008, S.
19–48.
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Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Titel
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Untertitel
- Netzwerker der Kunstwelt
- Autoren
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 562
- Kategorie
- Biographien