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144 Georg Vasold
bekannt, aber die vorhandene Literatur lässt zumindest die Vermutung zu, dass es wohl
Ficker war, über den sein junger Assistent mit Joseph Daniel Böhm bekannt wurde.29
Der aus der Zips stammende, von höchsten Kreisen protegierte und in ganz Europa
bestens vernetzte Böhm, der zur Jahrhundertmitte einer der zentralen Akteure im Wie-
ner Kunstgeschehen war, gilt laut Schlosser nicht nur als Ahnherr der Wiener Schule,
sondern wurde auch zur entscheidenden Bezugsperson Eitelbergers. »Böhm war seiner-
zeit der am meisten universell gebildete Kunstkenner in Wien«, so Eitelberger in seinen
einfühlsamen Erinnerungen an seinen Förderer, »ich gestehe, von keinem Manne auf
dem Gebiete der bildenden Kunst so viel gelernt zu haben als von ihm. […] Er war […]
der Einzige, den ich als meinen Lehrer bezeichnen könnte.«30
Böhms Bedeutung für die Etablierung der Wiener Schule ist kaum zu überschätzen.
Abgesehen von seinem Ruf nach einer praxis- und objektbezogenen Kunstgeschichte,
d. h. der Forderung, sich nicht länger an den schriftlichen Überlieferungen, sondern an
den Werken selbst zu orientieren, war es v. a. die Ausdehnung des Untersuchungsfeldes
auf die außereuropäische Kunst, die er von seinen Schülern – den Mitgliedern des so-
genannten Böhm-Kreises
– einmahnte. Tatsächlich scheint er darauf insistiert zu haben,
ein »Weltbewußtsein in der Kunst«31 zu entwickeln. Dies implizierte, dass Fragen der
Herkunft bzw. der Nationalität von ihm zwar ernst genommen, tendenziell aber als eher
nachrangig erachtet wurden. Eduard von Sacken, Böhms Mitarbeiter am k. k. Münz-
und Antikenkabinett, hob diesen Aspekt besonders hervor und skizzierte mit knappen
Worten die Arbeitsmethode seines Vorgesetzten.
Er gewann seine Ansichten nicht aus Büchern, sondern lediglich aus den Werken und deren
Vergleichung selbst. […] [Es] war sein Grundsatz : in der Kunst müsse man sich von jeder
Einseitigkeit bewahren, sich weltbewusst werden, d. h. das Echte und Gute unabhängig von
Zeit und Nationalität anerkennen, indem man jedem seine richtige Stellung anweise und es
nach seiner künstlerischen Bedeutung würdige. Aus diesen Ideen erklärt sich die Natur seiner
Sammlung, die das ganze Gebiet der Kunst, von den Aegyptern bis auf die Neuzeit umfasst,
und auch die Gebiete des Orient’s nicht unberücksichtigt lässt. Böhm war der erste, der auf
29 W. Schram, Das Leben und Wirken des Kunstforschers Rudolf Eitelberger v. Edelberg,
Brünn 1887, S.
4 f.
30 R. Eitelberger von Edelberg, Josef Daniel Böhm, in : ders., Kunst und Künstler Wiens
der neueren Zeit (Gesammelte kunsthistorische Schriften von Rudolf Eitelberger von Edelberg, I),
Wien, 1879, S.
180–227, hier S.
181.
31 Zit. nach E. [Imre] Henszlmann, Daniel Joseph Böhm, in : Oesterreichische Revue, 4, 1866,
S. 125. Zur zeitgleichen Verwendung dieses Begriffs bei Alexander von Humboldt, der das Welt-
bewusstsein im 2. Teil seines Kosmos (1847) diskutierte, vgl. ausführlich O. Ette, Weltbewußtsein.
Alexander von Humboldt und das unvollendete Projekt einer anderen Moderne, Weilerswist 2002.
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Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Titel
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Untertitel
- Netzwerker der Kunstwelt
- Autoren
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 562
- Kategorie
- Biographien