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194 Timo Hagen
gensatzes von sinnenfrohem österreichischem Katholizismus und sprödem preußisch-
deutschem Protestantismus.84 Dass auch bei Eitelberger, der sich 1879 vordergründig
gegen eine Berücksichtigung konfessioneller Gesichtspunkte bei der Erörterung archi-
tektonischer Fragen aussprechen sollte,85 stereotype Auffassungen von Protestantismus
bei der Bewertung preußischer Architektur eine Rolle spielten, darf angesichts seines
Aufsatzes zur kirchlichen Architektur von 1853 vermutet werden. Darin heißt es über
den »nüchternen Protestantismus« norddeutscher Prägung, dieser habe »fast alles abge-
streift, was auf eine selbstständige Kunstentfaltung im religiösen Geiste deuten könnte.
In den Zeiten seiner Kulmination ist nichts dafür geschehen.« Er schließt mit der ver-
nichtenden Feststellung, die dreihundertjährige Existenz des norddeutschen Protestan-
tismus gehe »in den Blättern der Kunstgeschichte [fast] spurlos vorüber«.86
1866 attestierte ein unbekannter Autor dem 1863–1865 errichteten Neubau des
Akademischen Gymnasiums in Wien (Abb. 5), welches der aus einer norddeutschen
Pastorenfamilie stammende Konvertit Friedrich Schmidt entworfen hatte, »puritanische
Strenge«.87 Dem hätte Eitelberger, der Schmidt persönlich schätzte und der Ansicht
war, das in Württemberg geborene und aufgewachsene »Schwabenkinde« habe sich auf-
grund einer »Stammverwandtschaft« des schwäbischen mit dem »Wiener Volksstamm«
in Wien rasch »acclimatisirt«, wohl nicht zugestimmt.88 Der lange Atem solcher Kate-
gorisierungen in der deutschsprachigen Architekturkritik zeigte sich aber kürzlich in
einem Feuilletonartikel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zur Barockarchi-
tektur und deren Nachbauten des 21. Jahrhunderts in Potsdam. Darin fragen die bei-
den Autoren Niklas Maak und Claudius Seidl, »ob das pietistische, von protestantischer
84 P. Stachel, Albert Ilg und die »Erfindung« des Barocks als österreichischer »Nationalstil«, in : Ba-
rock – ein Ort des Gedächtnisses. Interpretament der Moderne/Postmoderne (hg. von M. Csá-
ky/F. Celestini/U. Tragatschnig), Wien/Köln/Weimar 2007, S. 101–152, hier insb. S. 130 f.,
S. 134–136 ; ders., »Vollkommen passende Gefäße« und »Gefäße fremder Form«. Die Kritik des
Kunsthistorikers Albert Ilg (1847–1896) an der Architektur der Wiener Ringstraße, ihr identi-
tätspolitischer Hintergrund und ihre kunstpolitischen Auswirkungen, in : East Central Europe, 23,
2006, H.
1, S.
269–291, hier insb. S.
276 f., S.
281–286.
– Die Rolle der ›Wiener Renaissance‹ nahm
bei Ilg allerdings der (Neo-)Barock ein. – Zur Bedeutung Eitelbergers und Ilgs für die Idee eines
habsburgischen Reichsstils siehe T. Hagen, K. u. k. Militärbauten als Repräsentanten der Gesamt-
monarchie in der siebenbürgischen ›Peripherie‹, in : Die Repräsentation der Habsburg-Lothringi-
schen Dynastie in Musik, visuellen Medien und Architektur 1618–1918/Representing the Habs-
burg-Lorraine Dynasty in Music, Visual Media and Architecture 1618–1918 (hg. von W. Telesko),
Wien/Köln/Weimar 2017, S.
205–223, hier insb. S.
212–215.
85 Eitelberger, Friedrich Schmidt (zit. Anm.
44), S.
398.
86 Eitelberger, Kirchliche Architektur (zit. Anm.
3), S.
29.
87 O.
A., Franzosen in der Wiener Architektur (zit. Anm.
74), S.
4.
88 Eitelberger, Friedrich Schmidt (zit. Anm.
44), S.
388 f.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Titel
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Untertitel
- Netzwerker der Kunstwelt
- Autoren
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 562
- Kategorie
- Biographien