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202 Timo Hagen
erwarb sich wie angedeutet Verdienste um die systematische Erfassung und Beschrei-
bung von Denkmalbeständen. Trotz des politisch-ideologischen Antriebs, der auch hin-
ter diesen Projekten stand, sieht Rampley daher in den Anfängen der Wiener Schule eine
Abkehr vom spekulativen Idealismus früherer Kunstforscher,116 während Lachnit einen
lediglich »materialistisch verkleideten Idealismus« konstatiert.117 Der sich hier schein-
bar eröffnenden Diskrepanz zwischen dem Vorgehen des Architekturkritikers und dem
des Kunsthistorikers Eitelberger zum Trotz war letzterer stets im Wirken des Erste-
ren präsent. Geschichtsvorstellungen und Epochenkonzepte Eitelbergers flossen maß-
geblich in seine Beurteilung zeitgenössischer historisierender Architektur mit ein. Die
Einforderung ›historischer Korrektheit‹ beim Zitieren historischer Architekturstile und
die Ablehnung der Vermischung mehrerer Stile in ein und demselben Gebäude deuten
dabei letztlich auf ein zweifaches Unbehagen hin : ein Unbehagen einerseits gegenüber
der Infragestellung historischer Gewissheiten und gerade mühsam etablierter Epochen-
ordnungen und andererseits – im Zeitalter sich verstärkender Nationalbewegungen –
gegenüber Transkulturationserscheinungen.
Als eine wichtige Voraussetzung für die von Eitelberger praktizierte Vermittlung von
Identitätskonzepten und politischen Positionierungen im Medium der Architekturkri-
tik erwies sich sein empiristisches Stilverständnis gekoppelt mit der Überzeugung, dass
Architektur eine ethische Aufgabe in der Vermittlung kultureller Spezifika und Ge-
meinschaftswerte habe. Seine Überzeugung, dass allein traditionsgebundene Architek-
tur verständlich sei und damit das Potential habe, dieser Mission nachzukommen und
Gemeinschaft zu stiften, unterstreicht Eitelbergers Rolle als Vordenker des Historismus
in Wien.
Der historistische Normativismus Eitelbergers kennt einen engen Kanon idealer
Kulturepochen. Hierzu zählen – allen voran, in gleichsam winckelmannscher Tradi-
tion – die griechische Antike, aber auch die Gotik und ab Mitte der 1860er/Anfang
der 1870er Jahre die italienische Renaissance. Dem gegenüber stehen Erscheinungs-
formen mehr oder minder ausgeprägten kulturellen Verfalls
– so etwa römische Antike,
byzantinische Kunst, Rokoko und »Zopf«
– sowie »unreine«, lediglich »abgeleitete« oder
»copirte« Stilformen wie deutsche und französische Renaissance und der Klassizismus.
Während etwa die Idealisierung der griechischen Antike eine Konstante in den Schrif-
ten Eitelbergers darstellt, sind in anderen Fällen offenbar vom Fortgang der Forschung
beeinflusste Verschiebungen zu beobachten, etwa, wenn der Terminus »altdeutsch«
durch »gothisch« ersetzt wird oder Burckhardts Schriften zu einer positiven Bewertung
der italienischen Renaissance beitrugen.
116 Rampley, The Idea of a Scientific Discipline (zit. Anm.
5), insb. S.
76 f.
117 Lachnit, Die Wiener Schule (zit. Anm.
10), S.
24.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Titel
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Untertitel
- Netzwerker der Kunstwelt
- Autoren
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 562
- Kategorie
- Biographien