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212 Jindřich Vybíral
dankens« sah und dessen höchstes Ziel es war, »dem gesamten Kunstschaffen in Oes-
terreich einen festen Gang und ein bewußtes Wollen zu verleihen«.19 Welches sollte
jedoch das normative Modell sein, das Eitelberger angeblich durchzusetzen versuchte ?
Laut Camillo Sitte hat sich sein ehemaliger Lehrer die Aufgabe gestellt, den Stil zu
erneuern, der heute am meisten mit dem politischen Liberalismus und mit der supra-
nationalen Identifikationspolitik des österreichischen Staates verbunden wird, also »die
reine, italienische Renaissance für die moderne Welt wieder zu erwecken«.20 Es ist nicht
schwer, Argumente zur Unterstützung dieser Behauptung zu finden. Eitelberger hat tat-
sächlich 1871 mit Befriedigung den Triumph der Renaissancearchitektur in der öster-
reichischen Hauptstadt festgestellt und plädierte offen für italienische und griechische
Vorlagen als Ausgangspunkt der modernen österreichischen Architektur : »Die Wiener
Renaissance lehnt sich größtentheils an die italienische Renaissance an«, deklarierte er
in einem öffentlichen Vortrag. »In diesem Anlehnen an Italien und Griechenland folgen
unsere Künstler einem gesunden Instinkt […]. Denn all unser künstlerischer Fortschritt
beruht darauf, daß die geistig reinigende Atmosphäre, die aus Toscana und Hellas zu
uns herüberstreift, immer mehr sich verbreitet.«21 Doch hatte seine Auffassung der
italienisch orientierten Neorenaissance wenig gemein mit Sempers »kosmopolitischer
Architektur der Zukunft«, die laut manchem Historiker seitens der österreichischen
Staatsverwaltung als Ausdruck des multiethnischen Konzeptes der Monarchie bevor-
zugt wurde.22 Eitelberger hat seine ästhetische Präferenz im Grunde auf gegenteilige
Argumente gestützt. Die Formen der italienischen Renaissance entsprachen ihm zu-
folge dem Wiener Temperament und verkörperten die lokale, wenn nicht nationale
Identität. Der aus dem Süden importierte Stil hatte für ihn »etwas von dem heiteren,
leichtlebigen und genußsüchtigen Wienerthum an sich« und seine moderne Rezeption
bot eine effektive Möglichkeit, um »im eigenen Hause auf eigenen Füßen« zu stehen.23
(Abb.
3)
Eine derart kuriose Begründung der Rezeption der italienischen Renaissance kön-
nen wir kaum als einen der »oft wunderlichen Rösselsprünge seiner Ideen«24 abtun, die
19 A. Ilg, Rudolf Eitelberger, in : Die Presse, Nr.
109, 21.04.1885, S.
1–3, hier S.
3 und S.
1.
20 C. Sitte, Rudolf v. Eitelberger, in : Neue Illustrirte Zeitung, Nr.
31, 26.04.1885, S.
483 und S.
486,
hier S.
486.
21 Die Renaissance in Wien, in : Neue Freie Presse, Nr. 2617, 06.12.1871, Abendblatt S. 4 (Aufzeich-
nung eines Vortrags von R. Eitelberger).
22 P. Haiko, Semper und Hasenauer. Kosmopolitische Neorenaissance versus Österreichischer Neoba-
rock, in : Stilstreit und Einheitskunstwerk (hg. von H. Laudel/C. Wenzel), Dresden 1998, S.
199–
208, hier S.
204 f.
23 [Eitelberger], Die Renaissance in Wien (zit. Anm.
21).
24 Ilg, Eitelberger (zit. Anm.
19), S.
1.
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Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Titel
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Untertitel
- Netzwerker der Kunstwelt
- Autoren
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 562
- Kategorie
- Biographien