Seite - 127 - in Ruinen - oder Taschenbuch zur Geschichte verfallener Ritterburgen und Schlösser nebst ihren Sagen, Legenden und Mährchen, Band 1

folgte dcm Nathe des altcn Bischofs, und wählte die einsame Zelle derzeit. Wiboroda bep St. Gallen zu ihrem künftigen Aufenthalte. ^Hier vertrauerte sie ihre Tage in stiller Abgeschie- denheit, und die Erinnerung an den verlornen Gat- ten war ihre einzige Freude. Als sie nun eines Tages (im Jahre 919) nach ihrer Gewohnheit wieder in das Stadtchen herüber kam, um unter ihren guten Vuchhorncrn mit Ge- bcth und Almosen den Gehachtmßtag ihres Gatten zu fepcrn, und eben im Begriffe war, ihre milden Gaben auszusperren; da mischte sich unversehens ein armselig gekleMter.und mühsam sich hinschleppender Fremdling unter den Haufen der umstehenden Ar- men, und bath auch um ein Almosen, vornehmlich um ein Kleid. Willig that die gute Frau ihre mil- de Hand auf, und gab ihm, was er gewünscht hatte. Aber nicht zufrieden damit, zog er die fromme Ge- berinn selbst zu sich hin, und erfrechte sich, sie zu umarmen. Das züchtige Weib stand schamroth da, und ihre Diener schickten sich an, die Beleidigung zu rächen. Jetzt aber wirft der Bettler die Haare zurück, nimmt feiye natürliche Stellung und Stimme an,-und be- grüßt die verlegene Grafinn. Sie erkennt ihn; cs ist Ulrich, ihr Gemahl. Wer beschreibt die Scene der Rührung und des Entzückens, die nun folgte! Allenthalben strömten Frnchenthräncn, und die 3uft erschallte von Iubelgeschrep.