Seite - 7 - in Schachnovelle
Bild der Seite - 7 -
Text der Seite - 7 -
Phlegma und Imbezillität gezeigt habe. So geschah es, daß in die illustre
Galerie der Schachmeister, die in ihren Reihen die verschiedensten Typen
intellektueller Überlegenheit vereinigt, Philosophen, Mathematiker,
kalkulierende, imaginierende und oft schöpferische Naturen, zum erstenmal
ein völliger Outsider der geistigen Welt einbrach, ein schwerer, maulfauler
Bauernbursche, aus dein auch nur ein einziges publizistisch brauchbares Wort
herauszulocken selbst den gerissensten Journalisten nie gelang. Freilich, was
Czentovic den Zeitungen an geschliffenen Sentenzen vorenthielt, ersetzte er
bald reichlich durch Anekdoten über seine Person. Denn rettungslos wurde
mit der Sekunde, da er vom Schachbrette aufstand, wo er Meister
ohnegleichen war, Czentovic zu einer grotesken und beinahe komischen
Figur; trotz seines feierlichen schwarzen Anzuges, seiner pompösen Krawatte
mit der etwas aufdringlichen Perlennadel und seiner mühsam manikürten
Finger blieb er in seinem Gehaben und seinen Manieren derselbe beschränkte
Bauernjunge, der im Dorf die Stube des Pfarrers gefegt. Ungeschickt und
geradezu schamlos plump suchte er zum Gaudium und zum Arger seiner
Fachkollegen aus seiner Begabung und seinem Ruhm mit einer kleinlichen
und sogar oft ordinären Habgier herauszuholen, was an Geld herauszuholen
war. Er reiste von Stadt zu Stadt, immer in den billigsten Hotels wohnend, er
spielte in den kläglichsten Vereinen, sofern man ihm sein Honorar bewilligte,
er ließ sich abbilden auf Seifenreklamen und verkaufte sogar, ohne auf den
Spott seiner Konkurrenten zu achten, die genau wußten, daß er nicht imstande
war, drei Sätze richtig zu schreiben, seinen Namen für eine ›Philosophie des
Schachs‹, die in Wirklichkeit ein kleiner galizischer Student für den
geschäftstüchtigen Verleger geschrieben. Wie allen zähen Naturen fehlte ihm
jeder Sinn für das Lächerliche; seit seinem Siege im Weltturnier hielt er sich
für den wichtigsten Mann der Welt, und das Bewußtsein, all diese gescheiten,
Intellektuellen, blendenden Sprecher und Schreiber auf ihrem eigenen Feld
geschlagen zu haben, und vor allem die handgreifliche Tatsache, mehr als sie
zu verdienen, verwandelte die ursprüngliche Unsicherheit in einen kalten und
meist plump zur Schau getragenen Stolz.
»Aber wie sollte ein so rascher Ruhm nicht einen so leeren Kopf
beduseln?« schloß mein Freund, der mir gerade einige klassische Proben von
Czentovics kindischer Präpotenz anvertraut hatte. »Wie sollte ein
einundzwanzigjähriger Bauernbursche aus dem Banat nicht den
Eitelkeitskoller kriegen, wenn er plötzlich mit ein bißchen
Figurenherumschieben auf einem Holzbrett in einer Woche mehr verdient als
sein ganzes Dorf daheim mit Holzfällen und den bittersten Abrackereien in
einem ganzen Jahr? Und dann, ist es nicht eigentlich verflucht leicht, sich für
einen großen Menschen zu halten, wenn man nicht mit der leisesten Ahnung
belastet ist, daß ein Rembrandt, ein Beethoven, ein Dante, ein Napoleon je
7
zurück zum
Buch Schachnovelle"
Schachnovelle
- Titel
- Schachnovelle
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1942
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 46
- Schlagwörter
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik